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Neue Literatur
Deutschlands und hob den November
1918 als „Schlußstrich unter die wilhelminische
Periode". Dabei hob er Friedrich
Eberts große Verdienste hervor. Bei der
Verfassungsfeier 1932 warnte er vor „politischen
Wunderheilern". Ausführlich
untersucht Wöhrle Wohlebs Verhalten
während des Dritten Reichs. Wohleb
schwankte zwischen Anpassung und Opposition
, nachdem er 1934 vom Ministeri-
aldienst suspendiert und an eine andere
Schule zwangsversetzt wurde.
Der Autor setzt sich mit den einzelnen
Stufen der Wohleb'sehen Nachkriegskarriere
auseinander: als Abteilungsleiter der
nach 1945 gegründeten südbadischen Kulturverwaltung
, dann seine Parteikarriere
und die Regierungszeit als badischer
Staatspräsident und Kultusminister. Wöhrle
beschäftigt sich eingehend mit der Frage
, woran es liegt, dass Wohleb es gelang,
nach 1945 schnell politisch Karriere zu
machen. Neben dessen politischen Erfahrungen
am Ende der Weimarer Republik
und während des Dritten Reiches sieht er
einen Hauptgrund in der politischen Übereinstimmung
zwischen den katholischkonservativen
Ansichten Wohlebs und der
Haltung der französischen Militärregierung
, insbesondere in der antipreußischen
Haltung. Die „antipreußische Grundhaltung
half vielen nach dem Ende des Dritten
Reiches, vor allem im katholisch-konservativen
Lager, sich eine Entlastungsphilosophie
zurechtzulegen. Dabei wurden
häufig die Begriffe Nationalsozialismus,
Preußentum und Protestantismus vermischt
oder sogar gleichgesetzt." (S.
122f.) Dies führte zu der irrigen Behauptung
, der „katholische Süden habe keinerlei
Mitschuld am Nationalsozialismus".
Ein weiteres Argument für die 1946
erfolgte Wahl Wohlebs zum Präsidenten
des Staatssekretariats war dessen Unterstützung
, mit Sozialdemokraten und
Kommunisten eine Regierungskoalition
einzugehen. Auslöser war jedoch die Tatsache
, dass sein direkter Konkurrent, der
Chef der Justiz, Paul Zürcher, nach dem
Freispruch beim Offenburger Erzberger-
prozess bei den Franzosen in Ungnade gefallen
war.
Wöhrle verfolgt Wohlebs Regierungszeit
bis zur Niederlage bei der Volksabstimmung
im Dezember 1951 und beschreibt
seine Haltung zur neugegründeten
Bundesrepublik und Europa, ebenso
die wichtigsten Reformprojekte der direkten
Nachkriegszeit in Baden, die von der
Besatzungsmacht angestoßen wurden. Dazu
zählen das Agrarreformgesetz, das Betriebsrätegesetz
und das Sozialversicherungswesen
. Die Bilanz der wenigen Jahre
, in denen die Regierung Wohleb im
Amt war, fällt für Wöhrle insgesamt positiv
aus. Er hebt dabei auch die Lösung der
sog. „Kehl-Frage" hervor, bei der es ihm
gelang, die Rückgabe aller Stadtteile zustande
zu bringen. Kritisch betrachtet
Wörhle Wohlebs Haltung bei der Entnazifizierung
. Zunächst unterstützte er die
Einrichtung deutscher Spruchkammern,
als er jedoch die öffentliche Kritik vernahm
, rückte er davon ab. „So wie er vielen
Bekannten und Kollegen trotz ihrer
nationalsozialistischen Verstrickungen
Persilscheine' ausgestellt hatte, so macht
er sich 1947 Forderungen nach einer gemäßigteren
Entnazifizierung mit Amnes-
tieregeln zu eigen. In der politischen Auseinandersetzung
folgte Wohleb „nicht immer
demokratischen Spielregeln und umging
, zur Durchsetzung von bestimmten
Projekten, beispielsweise Parteigremien
oder sogar Abteilungen von Landesministerien
. Dies komme insbesondere bei der
Südweststaat-Frage zum Ausdruck, die
der Autor in einem Kapitel untersucht.
Hier kamen eigenmächtige Entscheidungen
und Vorgehensweise von Wohleb am
Deutlichsten zum Vorschein. Wöhrles
Biografie schließt mit dessen Zeit als
deutscher Botschafter in Portugal, von wo
er einen zaghaften Versuch unternahm,
politisch als Bundestagsabgeordneter
noch einmal Fuß zu fassen. Er scheiterte
und starb unerwartet am 12. März 1955.
Wolfgang Gall
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