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Heiligenleben und Alltag. Offenburger Stadtgeschichte im Spiegel eines spätmittelalterlichen Beginenlebens 167
jungfrow Heilke dick (oft) vil we, so sü die guoten broten und wurste
aßen und sü (-Gertrud) davon nitgeturste versuochen.37 Gertrud entschied
sich lieber für das einfachste Essen, das war Roggenbrot,
Rotwein, geräuchertes Hammelfleisch und Gemüse. Ja, sie übte
sich in strenger Askese, indem sie das Gemüse so aß, also es den
armen für die türe wirt gegeben, gerunnen (zäh) und kalt
Nach der Darstellung der Erzählerin wurde das Haus eine Art
Sozialstation für arme Frauen der Stadt.38 Einige wohnten hier für
längere Zeit, andere bekamen ein seckelin voll Fleisch und Brot;
das Haus war offen für alleinstehende Frauen mit Kindern und
für Wöchnerinnen. Denen gab Gertrud genug zu essen und zu
trinken, nahm die Kinder, säuberte sie und wickelte sie in frische
Windeln. Waren diese brüchig, so gab sie ihnen gleich neue.
Auch größere Kinder nahm sie auf, um sie zu waschen und ihre
zerschlissenen Kleider auszubessern. Etiich hette sie zehn wochen by
ir in dem huse, untz sü im sin houpt schoen und heil gemacht.
Ihre Sozialarbeit beschränkte sich nicht auf ihr Haus. Einem
armen aussätzigen Nachbarn, der also widerwaertig anzusehen wz,
brachte sie Essen und fütterte ihn. In einem andern Haus, in dem
aussätzige Frauen wohnten, besorgte sie zusammen mit einer
ihrer Schwestern Bett und Wohnung und nahm sich Zeit für Gespräche
mit den Kranken. Ihre innere Stimme forderte von ihr,
dz du dich übest und einem dürftigen nach dem andern sin houpt
wüschest und im den grint heiltest und in ir gewendelin suvertes und
erschüttelst und im Spital einen noch dem andern für dich nimest.
Das Spital selbst war natürlich ein zentraler Ort, an dem Gertrud
vorbildhaft wirken konnte, sodass auch andere Frauen der
Stadt zur Mithilfe bereit waren. Die hygienischen Verhältnisse
müssen schauderhaft gewesen sein, jedenfalls nach der drastischen
Schilderung der Vita. Bettzeug
und Kleider waren voller Wanzen. Si
nam einen besen und machte es domit
abe, und erschü(ttelte) inen ir lilachen
und hies iegliches einen zipfel heben und
ersluog es mit einer ruoten ob den gluo-
ten, dz der gesmag also gros wz, dz er
unlidelich wz zu lidende.39
Die Kranken und Alten bildeten
nur ein Teil der Armen in der Stadt.
In den Gassen begegnete sie oft bettelnden
Menschen und hörte deren
Ruf: „Brot durch Gott". Ihnen gab sie
win und brot, fleisch und (ge)muos, kam
und mel. Sü gap in ouch ir alt gewant,
bette und kissen, pfulwen und wz sü ir
abgebrechen moehte, dz gab sü armen
Abb. 4: „Ich war krank
und ihr habt für mich
gesorgt/' Aus dem
Radfenster im nördl.
Querhaus des Freiburger
Münsters.
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