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310 Heinz G. Huber
Frau vom Schultheiß und vom Amtmann jeweils 10 Schilling,
von jedem Edelmann einen halben Gulden. Vom Propst des Klosters
Allerheiligen wurden ein bis zwei Ohm Wein gestiftet. Zum
Ausschank an diesem Tag wurde besonderer Wein gekauft, zwei
Bediente schenkten ein und trugen Brot auf. Die Frauen wählten
nunmehr aus ihrer Mitte einen Schultheißen und hielten „Gericht
" über die Männer. Welche Vergehen gerügt wurden und
welche „Strafen" verhängt wurden, ist nicht bekannt.
Die Oberkircher Frauen übten an diesem Tag folglich das „Weiberrecht
" aus. An diesem Tag wurde die Ordnung auf den Kopf
gestellt, die Frauen übten „Macht" aus und hielten Gericht, während
sie sonst keine Rechte hatten. Die heutige „Weiberfasnacht"
stellt die Fortsetzung des im gesamten oberdeutschen Raum verbreiteten
Brauchtums dar.14 Auch für das Dorf gibt es einen Beleg:
In der 1762 niedergelegten, aber auf älteren Vorlagen beruhenden
Ringelbacher Dorf Ordnung ist erwähnt, dass „sämtliche Eheweiber
von Ringelbach" im Ulmhardt jährlich eine Eiche als „Schauertagsbaum
" hauen und „zu ihrem Genuss" gebrauchen sollten.15
Das erste von vier Bauerngerichten fand am „Faßnacht"-Schauer-
tag statt, vielleicht auch in Anwesenheit der Frauen.
Die auf Fastnacht begrenzte Umkehrung der „Herrschaftsverhältnisse
" mag sicher in ruhigen Zeiten ein Ventil gewesen sein,
um Dampf abzulassen. In Zeiten des Umbruchs und der Krise
konnte daraus auch revolutionäres Potenzial entstehen. Möglicherweise
hängt der Sturm der Kappler Frauen auf das Oberkircher
Gefängnis in der Nacht vom 5. auf den 6. März 1777 - die
zeitliche Nähe legt es nahe - auch mit der Fastnacht zusammen.
Der Kappler Schultheiß war wegen demonstrativer Missachtung
des Jagdverbotes zusammen mit anderen Wilderern nach Oberkirch
verbracht und dort im Gefängnisturm festgesetzt worden.
Etwa 300 bis 400 Frauen aus Waldulm und Kappelrodeck bewaffneten
sich mit Äxten, Eisengabeln, Säbeln und Pistolen, drangen
nachts durch das Obertor in Oberkirch ein, setzten das Wachpersonal
fest und befreiten ihre Männer.16
Wenig untersucht wurde bisher, welche Rolle die Fastnacht in
der Revolution von 1848/49 gespielt hat. In seinem Bericht vom
12. März 1848 schreibt der Oberkircher Amtsvorstand nach Karlsruhe
, dass hier „in den ersten Tagen dieses Monats und besonders
über Fastnacht eine große Aufregung wie fast überall" geherrscht
habe, „indem sich die Bürger mehrmals versammelten, teils
wegen Beratung von Petitionen, teils wegen Ankaufs von Waffen
". Erleichtert wurde jedoch festgestellt, dass „keine Exzesse"
vorgefallen seien. „Über Fastnacht" sei die dreifarbige Fahne
(Schwarz-Rot-Gold, d. V.) vor dem Bürgerlokal ausgehängt worden
.17 An Fastnacht wurde folglich gewagt, was man sich sonst
nicht getraute. Auch die wiederholten „Katzenmusiken" vor dem
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