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Die illustrierte Prachtausgabe Vergils aus Straßburg 1502
lologischen Kollegen hatten die Oberstufenschüler
bei Prof. G. Gagg von
1844 an Vergil auf dem Stundenplan.
Die sog. „Studiosi" lasen mit ihren
Professoren Vergils Eklogen, die Geor-
gica und Teile der Äneis. Nach dem
lauten gemeinsamen Lesen wurde
übersetzt, interpretiert und in längeren
Passagen auswendig gelernt und
in der Folgestunde anderntags extemporiert
.
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Eine auffällige Besonderheit der Offenburger
Vergilbestände in der Historischen
Bibliothek, die ja durch den
Eintrag in das Landesdenkmalbuch im
Jahr 2000 „zu den bedeutendsten und
wichtigsten Gymnasialbibliotheken
des Landes" gezählt wurden, ist eine
zunächst nicht auffallende Fortschreibung
der Äneis von fremder Hand. Als
man Vergil im Humanismus zusammen mit den anderen lateinischen
Klassikern wiederentdeckte, passte es offensichtlich
italienischen Gelehrten nicht in das Bild vom frommen Äneas
Vergils, dass er seinen glorreichen Helden und römischen
Stammvater ausgerechnet im letzten Vers seiner Dichtung überhaupt
einen Mord begehen lässt: Äneas sticht den bittflehend
am Boden verblutenden König Turnus schonungslos und in
unbeherrschter Wut nieder.
Wie passt das mit dem Herrschaftsauftrag im sechsten Buch
zusammen, wo den zukünftigen Weltherrschern das „parcere
subiectis", die Schonung der Unterwürfigen, empfohlen wird?
Sollte das das wahre Vermächtnis des großen Dichters der
Römer sein? Sollte so die Äneis des frommen Dichters und seines
frommen Helden enden, wenn er im Abschlussvers von der
armen Seele des ermordeten Feindes dichtet (Vergil, Aeneis XII,
Vers 952)?
Abb. 10: Der Tod
des Turnus
„Vitaque cum gemitu fugit indignata sub umbras"
„Und die Seele floh entsetzt und laut stöhnend zu den Schatten"
Nein, so konnte das Nationalepos der Römer nicht seinen Ab-
schluss finden! - meinte auch der junge italienische Frühhumanist
Maffeo Vegio (1407-1458) und dichtete 1428 mit 21 Jahren
ein 13. Buch der Äneis dazu, das seitdem Bestandteil aller
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