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Manfred Merker
Abb. 19: Der Tod des
Äneas an der Seite
seiner Mutter Venus:
Die Seele entweicht.
nach sind auch die Vergilillustrationen „nach
visierlicher angebung des Hochgelehrten
Doctors Sebastiani Brandt" geschaffen worden
.
Die eigentlichen Künstler aber waren, weil
sonst kein Name eines Meisters zu identifizieren
ist, Grüningers anonyme und hervorragend
geschulte Holzschneider, für die
man eine ausgezeichnete handwerkliche und
künstlerische Ausbildung bis zur Meisterschaft
in ihrem Fach voraussetzen muss.
Sie realisierten damit die typischen Merkmale
der oben charakterisierten „elsässischen
Schule", die sich um 1500 am Oberrhein zwischen
Hagenau, Straßburg, Colmar, Breisach
und Basel entwickelt hatte. In den Kupferstichen
Martin Schongauers und seiner Schule, sowie den Steinfiguren
Tilman Riemenschneiders, dessen Aufenthalt in Straßburg
ebenfalls nachgewiesen ist, sowie den Werken des ebenfalls
vor Ort gegenwärtigen Albrecht Dürers fanden sie für ihre
Darstellungen sicher manche willkommene Anregung. Die
viermalige zeichnerische Erscheinung Vergils in unserem
Prachtband erinnert somit sehr an deren Engel- und Apostelgestalten
.
Die über 200 Holzschnitte zu Vergil von 1505 sind insgesamt
ein kulturhistorisches Zeugnis ersten Ranges. Sie geben
einen umfassenden Einblick in die Zeit der Text edierenden
und illustrierenden Autoren des beginnenden deutschen Humanismus
mit ihren zeitbedingten Anschauungsweisen. Das gilt
für die Darstellung der handelnden Personen in ihrem kriegerischen
, städtischen und landschaftlichen Umfeld wie auch für
die zahlreichen zeitgenössischen Spiegelungen, die wir gerade
in den zwölf Büchern der Äneis erfahren können: Zelte aus der
Zeit der Türkenkriege, die Bundschuhfahne der sich organisierenden
Bauern, das Stadtwappen Straßburgs, die Kanonen und
Handwaffen des 15. Jahrhunderts und die Karavellen der Amerikaentdecker
mit ihren schwellenden Segeln und die im Stile
der Zeit gedeckten Festtafeln. Auch die inhaltliche Ausrichtung
der fünf lateinischen Kommentare am Rande beider Seiten, in
kleinerer Drucktype mit Ziffernangaben im Haupttext, spiegelt
die begrenzte Welt um 1500. Der Text bietet keinen Neuansatz
in der Editionsgeschichte, sondern fußt auf der
venezianischen Ausgabe Mancinellis aus Veletri (1452-1505)
aus dem Jahre 1491 mit dessen antiken Kommentaren von
Servius und Donat und den humanistischen Kommentaren
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