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1 ^ g Günther Mohr
Das Entscheidende am Schloss, das wird deutlich, ist nicht
die Wohnung Spanes oder irgendein Vortragssaal. Schloss Ottenau
ist zwar im Roman wie seine außerliterarische Entsprechung
lokalisierbar, doch ist das Schloss, der „Ort" des Romangeschehens
, zu einer Chiffre geworden für ein kulturelles Zentrum
, das außerhalb der literarischen Welt nicht existierte, aber
auch im Roman selbst nicht erreichbar ist. In diesem Sinne ist
das „Schloß" eine doppelte Utopie.
Die Vorstellung eines kulturellen Aufschwungs als zentraler
Entwicklungszug der Nachkriegszeit existierte nicht nur im
Roman Otto Flakes. Der Historiker Friedrich Meinecke drückte
seine Vorstellung darüber so aus: „In jeder deutschen Stadt und
größeren Ortschaft wünschen wir uns also künftig eine Gemeinschaft
gleich gerichteter Kulturfreunde [...]."59Die Schlossgesellschaft
, ihre zu Schriftsteller werdenden Mitglieder, die mit
Vorträgen und einer Zeitschrift ein breiteres Publikum erreichen
, entspricht diesen „Kulturgemeinden" Meineckes. Die
Hoffnung auf eine „kulturelle Renaissance" war weit verbreitet
.60 Allerdings ging sie oft mit einer erfahrungsgesättigten
Enttäuschung über die Politik Hand in Hand. Hannah Arendt,
die Philosophin, die aus Deutschland fliehen musste, wies auf
die andere Seite dieser Begeisterung für die Kultur hin. Sie sah
eine „Flucht der Menschen vor der Wirklichkeit, die zugleich
eine Flucht aus der Verantwortung" war.61 Das weitgehende
„Beschweigen" der nationalsozialistischen Vergangenheit und
ihrer Verbrechen war ein Teil dieser Flucht, die Begeisterung für
die Kultur „Kompensation politischer Enttäuschung" und wohl
auch, in einem Ausdruck von Max Frisch, „Alibi".62
Wie konform sich Ewald Sparre auch zur Fluchtbewegung
verhält, zeigt sich, als er über das Scheitern der „Kulturutopie"
reflektiert. Er fragt sich, ob nicht das „westdeutsche Neugebilde
" sich als ein „neunundvierzigster Prosperitystaat", als ein
Anhängsel der USA entwickle. Auf diese Reflexion folgt sofort
der Gedanke: „Ich wäre gern mit Sabine auf Reisen gegangen;
f...]."63 Ironisiert hier Flake seinen Kulturhelden Sparre, der sich
doch fern von der Masse denkt, aber ihr Eintauchen in die Reisewelle
der 50er Jahren durchaus teilt, jedoch seinen Wunsch
mangels Geld64 nicht erfüllen kann?
Flake und mit ihm sein Erzähler Sparre ist Ironie auch gegenüber
der „Kulturutopie" in der mittelbadischen Landschaft
nicht fremd. Ein Lehrer, „bei den Kommunisten eingeschrieben
" und deshalb entlassen, wird auf dem Schloss als Gärtnergehilfe
beschäftigt, allerdings nur unter der Bedingung, dass er
seine Parteizugehörigkeit aufgibt. Er, zugegebenermaßen am
Rand der Schlossgesellschaft, gründet zusammen mit einer jun-
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