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Irma Goeringer 211
lungskräftige Kunden schätzte. Dem Vater muss dieser Teil des
Werkes sehr unangenehm gewesen sein.
Irma Goeringer hatte aber sicher auch Kontakt zu ihrer geschiedenen
Mutter, Ida Mathilde Goeringer geborene Hironi-
mus. Ob nachfolgende Textstelle das Verhältnis zu eigenen
Mutter charakterisiert? „Eva ließ sich eben nicht als Wunderkind
aufputzen, und kam der Eitelkeit ihrer Mutter in keiner
Weise entgegen. Auch sonst waren die beiden Frauen sehr verschieden
. Eva saß am liebsten im stillen Winkel mit einem
Buch, dessen Titel ihrer Mutter bereits ein Grausen einjagte,
oder sie lief ohne Rücksicht auf Teint und weiße Hände hut-
und handschuhlos im Walde umher."53
Mama Ida trat als Sängerin der Lieder von Hugo Wolf an die
Öffentlichkeit, und sie war in zweiter Ehe mit einem Herrn Dr.
Siegfried verheiratet.54 Sollte es sich dabei um jenen Dr. Siegfried
gehandelt haben, der von 1893 bis 1897 Chefarzt im Kurzentrum
des Vaters in Bad Rippoldsau war?55 Der Chefarzt von
Bad Rippoldsau, Dr. Martin Siegfried, veröffentliche 1895 ein
Buch über die Frage, wie Radfahren gesund ist.56 Später folgte,
bei „John Bale, Sons & Danielsson, London, Oxford House"
eine englische Abwandlung.57 Aus diesem Werk wissen wir nun
zumindest den Vornamen des Arztes, der wohl nach seiner Zeit
in Bad Rippoldsau die „Kurpension und Freiluftinstitut von Dr.
Martin Siegfried" in Bad Nauheim betrieb, und zwar als „Institut
für Gymnastik und Bewegungstherapie"58.
Die Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum des königlichen Joa-
chimsthalschen Gymnasiums in Berlin nennt einen Dr. med.
Martin Siegfried, geboren am 28. September 1855 in Berlin,
Stabsarzt a. D., als „praktischer Arzt in Nauheim (im Winter in
Berlin)"59. Und in einer medizinischen Fachzeitschrift wird ein
Dr. Martin Siegfried in Bad Nauheim als Assistenzarzt in der
Privatklinik von Herrn Dr. Boas in Berlin genannt.60 Professor
Dr. Ismar Boas war der Begründer der Gastroenterologie, er
lebte bis 1936 in Berlin - floh als Jude vor den Nazis und beging
1938 in Wien Selbstmord.61
Somit hatte auch die Mutter in ihrem engsten Umfeld mit
jüdischen Geschäftspartnern und wohl auch Freunden zu tun.
Auch deshalb ist der Antisemitismus der Tochter sicher übel
aufgestoßen, weshalb der Satz - „Ihre letzte Arbeit, der Roman
Schlingpflanzen', ein Schlüsselroman, der mit widernatürlichen
Neigungen behaftete Persönlichkeiten der Berliner Theaterwelt
schildert, entfremdete sie ihren eigenen Eltern und
nächsten Angehörigen"62 - sicher zutreffend ist und für Irma
Goeringer wohl auch eine menschliche Katastrophe bedeutet
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