http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2013/0236
Lohkäse, Bollenradhüte und gesottene Erdäpfel O Q C
hart, haßte uns alle, mißhandelte uns, drehte uns die Arme um,
hielt uns knapp im Essen. Wenn wir irgendetwas begangen
hatten, das ihr nicht paßte, wurden wir durch Nahrungsentziehung
bestraft. Dann und wann mußten wir ohne Nachtessen -
neuerdings Abendbrot genannt - zu Bett gehen. [...] Unter diesen
Umständen sah der Vater nicht freudestrahlend in die Welt.
Meist herrschte Unfrieden im Haus."29 Vermutlich verschlimmerten
sich die Verhältnisse noch, als 1874 der Stiefbruder
August Ganthers im Alter von nur vierzehn Monaten starb.30
Im Jahr 1875 verlor der knapp dreizehnjährige August auch
seinen Vater. Jedes der vier Kinder erbte rund 3000 Mark und
erhielt damit die Grundlage für eine ordentliche Mitgift oder
eine gute Ausbildung.31 Das Haus stand laut Ehevertrag der
Stiefmutter zu.32 Sie heiratete 1876 Fridolin Braun aus Erlach.
Nach ihrem frühen Tod 1877 ging das Anwesen in den Besitz
von Braun über, der bald darauf erneut heiratete und in dem
Haus einen Kaufmannsladen einrichtete. Obwohl nicht direkt
mit der Familie Braun verwandt, blieb das frühere Elternhaus
für August Ganther jahrzehntelang eine Anlauf stelle. Immer
wieder erwähnte er in seinen Tagebüchern Besuche bei den
Brauns.33
Doch zunächst einmal musste er nach dem Tod des Vaters
Oberkirch verlassen.34 Während die ältere Schwester als Arbeitskraft
bei der Stiefmutter bleiben konnte, wurden August
und seine beiden jüngeren Geschwister von ihrem Vetter - also
dem Taufpaten - Xaver Höhr (auch Hoer) in Lautenbach aufgenommen
, allerdings gegen den Willen von dessen Ehefrau.
Bislang hatten die Kinder sie als freundliche Frau kennengelernt
, zu der sie an Ostern zum „Has jagen" gingen und die
ihnen beim Bäcker Spitzwecken kaufte, wenn sie ihr in Oberkirch
begegneten. Doch nun begrüßte sie die Waisen mit den
Worten: „So isch 's jetz do, des Lumbegsindel." „Wir wagten
kaum zu atmen. Besser als die Mutter nahmen uns die Kinder
auf, zwei halbwüchsige Maidli [...] und der schwarzglutäugige
Bub. Sie fuhren uns lieb über die Köpfe [...]. Und als es Essenszeit
war, wiesen sie uns Plätze am großen Tisch zu und munterten
uns zum Zugreifen auf." Die Kinder aßen mit dem Knecht
und der Magd getrennt vom Hausherrn und seiner Frau. Das
Essen „war gut und reichlich. Grobkörnige Gerstensuppe gab
es und Kohl und Speck. [...] Am Abend gab es Sauermilch und
gesottene Erdäpfel." Dies waren in der damaligen Zeit ganz
typische Mahlzeiten.35
Trotz der guten Verpflegung überkam August Ganther in der
ersten Nacht das Heimweh. „Ich sah die Kammer im Vaterhaus,
sah den Mond, der über die Schauenburg emporstieg und sah
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2013/0236