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Schriftsteller im Elsass und in Lothringen 1914-18 217
Zahllos sind die Geschichten, die es über diese Grabenkämpfe
zu erzählen gäbe. Stellvertretend für viele sollen auch
hier ein deutscher und ein französischer Verdun-Veteran erwähnt
werden, Georges Duhamel (1884-1966) und Ernst
Toller (1893-1939): Duhamel war wie Jules Romains ein Anhänger
des Unanimismus, demzufolge bestimmte Menschen
eine gemeinsame, kollektive Seele besitzen. Krieg war für ihn
daher nicht nur moralisch verwerflich, sondern seelischer
Selbstmord. Dennoch ging er als Feldchirurg an die Front, zunächst
in die Champagne, dann nach Verdun. Noch während
des Krieges veröffentlichte er die beiden Novellenbände Vie de
martyrs (1917) und Civilisation (1918). In beiden Büchern schildert
er den Kriegsalltag in seiner unheroischen Erbärmlichkeit.
Nach dem Krieg schloss sich Duhamel der pazifistischen Intellektuellen
-Bewegung „Clarte" an.
Auch Toller hatte die Kriegslazarette kennengelernt, allerdings
nicht aus der Perspektive des Arztes, sondern der des Patienten
. Von April 1915 bis Mai 1916 kämpfte er bei Verdun an
vorderster Front, erlebte den Beginn der großen Schlacht und
den Fall von Douaumont, wurde wegen Tapferkeit ausgezeichnet
und zum Unteroffizier befördert. Gleichzeitig verfasste er
seine ersten Anti-Kriegs-Gedichte und erlitt schließlich einen
physischen und psychischen Zusammenbruch, von dem er
sich nie wieder erholte. Nach verschiedenen Lazarett-Aufenthalten
wurde er 1917 als nicht mehr „k.v." (kriegsverwendugsfähig
) eingestuft und entlassen. 1933 emigrierte er in die
USA, wo er seine Autobiografie Eine Jugend in Deutschland (1933)
verfasste. Darin widmet er Verdun ein ganzes Kapitel, dem folgender
Text entnommen ist:
Eines Nachts hören wir Schreie, so, als wenn ein Mensch furchtbare
Schmerzen leidet, dann ist es still. Wird einer zu Tode getroffen
sein, denken wir. Nach einer Stunde kommen die Schreie
wieder. Nun hört es nicht mehr auf. Diese Nacht nicht. Die
nächste Nacht nicht. Nackt und wortlos wimmert der Schrei, wir
wissen nicht, dringt er aus der Kehle eines Deutschen oder eines
Franzosen. Der Schrei lebt für sich, er klagt die Erde an und den
Himmel. Wir pressen die Fäuste an unsere Ohren, um das Gewimmer
nicht zu hören, es hilft nichts, der Schrei dreht sich wie
ein Kreisel in unsern Köpfen, er zerdehnt die Minuten zu Stunden,
die Stunden zu Jahren. Wir vertrocknen und vergreisen zwischen
Ton und Ton.
Wir haben erfahren, wer schreit, einer der Unsern, er hängt im
Drahtverhau, niemand kann ihn retten, zwei haben's versucht,
sie wurden erschossen, irgendeiner Mutter Sohn wehrt sich ver-
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