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Das Bildungsangebot in der Schulstadt Offenburg - vor 500 Jahren 477
morgendliche Aufstehen genau geregelt wurde: Anziehen,
Hände und Gesicht waschen, Zähne putzen, Morgengebet,
kurze Repetition des vorgesehenen Unterrichtsstoffs, denn „er
soll seinem Lehrer mit Vergnügen zuhören". Lernen soll Spaß
machen. Die Popstars moderner Schulkritik fänden hier mit
ihren zentralen Metaphern „Begeisterung" und „Potenzialentfaltung
" 500 Jahre alte Vorgänger.
Zwei Gruppen von Schülern werden gesondert erwähnt:
1. Auswärtige Schüler. Sie müssen sich wie die andern an die
Regeln der Schule halten und dürfen nicht den Gottesdienst
oder den Unterricht schwänzen, nur weil sie ausschlafen wollen
. Sonst kann ihnen der Rat der Stadt den Aufenthalt innerhalb
der Mauern verbieten. Auch Taugenichtse oder Kneipenhocker
haben hier nichts zu suchen. - 2. Bedürftige Schüler. Sie
können sich ihren Lebensunterhalt und ihr Schulgeld in der
Stadt verdienen, indem sie als Kurrende-Sänger von Haus zu
Haus ziehen und mit Liedern um Brot bitten. Aber sie durften
dabei nur lateinische Gesänge, die zum Kirchenjahr passten,
vortragen. Bei Anfängern konnte eine Ausnahme gemacht werden
.
Für alle Schüler galt eine Grundregel: In der Schule war nur
die lateinische Sprache erlaubt. Nullus scolasticus alio quam la-
tino sermone utatur.18 Das Schulhaus war das Übungsfeld, um
sich aus der Volkssprache des Alltags zu emanzipieren in die
reine und elegante Sprache des Lateins, „ohne die jede Art von
Studium mangelhaft bleibt". Eine im 15. Jahrhundert weit verbreitete
Regel mahnte die Schüler:19
Latinum Semper loquere, aptum namque facit, de hoc sermo qui-
libet loquendo pronus erit - Du solt stütz reden latin, wenn es ist
bequeme den synnen din. Wenn latein reden mit stätigkayt wirt
ein yetliche red zu sprechen berayt.
Sopher enttäuschte Wimpfelings Vertrauen in seine Fähigkeiten
als Lehrer nicht. In einem Brief vom Mai 1518, worin es um
das Werk des humanistisch gebildeten Karmelitermönchs Bap-
tista Mantuanus ging, versicherte er ein zweites Mal: „Ich bin
überzeugt, dass Gebweiler, Sapidus, Sopher und noch andere
Lehrer fähig sind, diese stilistisch gepflegte und zugleich
christliche Literatur den Schülern zu vermitteln. Denn Christen
sind wir, wollen es sein und so heißen."20 Das war ein
Schlachtruf, ein halbes Jahr nach dem Thesenanschlag Luthers
an der Schlosskirche zu Wittenberg!
Wie konnte eine Schule in der kleinen Reichsstadt Offenburg
diesem Anspruch gerecht werden? Welches Lehrmaterial
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