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kationen geschickt und einen regen Briefwechsel begonnen, der unsere
Beziehungen trotz der Ferne festigte. Dass ich als Süditaliener seine badische
Heimat schätzte, erfreute ihn besonders. Erstaunt war er, wenn
ich ihm erzählte, gerade etwas von Berthold Auerbach oder Heinrich
Hansjakob gelesen zu haben.
Als wir uns an einem Augustabend im selben Jahr 1976 im Renchner
Grimmelshausen-Zelt anlässlich der dortigen Feier zu Ehren des Dichters
wieder trafen, erzählte er mir von seinem mühevollen Gang als
junger Student der Geschichte durch das Labyrinth der deutschen Könige
und Herrscher im Mittelalter sowie von deren komplizierten Familienverzweigungen
. Ob das der Sinn der historia sei, fragte er mich, aber
er erwartete sich keine Antwort, denn eine darauf hatte er schon in
seiner Jugend gefunden, und zwar eine bittere, die sein Leben prägte.
Vielleicht hatte er deswegen ein Studium der Geschichte angefangen,
um mithilfe der Vorlesungen von Historikern das intellektuell zu verarbeiten
, was er als junger Soldat erlebt hatte. Er fand die Antwort jedoch
nicht in der Historik, sondern in der Literatur des 17. Jahrhunderts: bei
Grimmelshausen und Moscherosch, die auch einen großen deutschen
Krieg persönlich erlebt - als Kind und junger Mann der Geinhäuser, als
Familienvater der Willstätter - und als Schriftsteller dessen Monstrosität
dargestellt haben.
Als Nachbetreuer der jüngeren deutschen Kollegen, die in Frankreich
und in Italien als DAAD-Lektoren gewirkt hatten, war er an der Entwicklung
der Universitäten in diesen Ländern interessiert und fragte mich
danach. Wissen wollte er jedoch grundsätzlich nichts von der „Univer-
sitologie", also von Berufungen, Drittmittelbeschaffung, Seilschaften,
Karrieren und Ähnlichem mehr. So oft wir uns auch auf Kongressen, bei
Tagungen, Vorträgen oder privat getroffen haben, ich erinnere mich
nicht daran, dass er einmal solche Themen berührte. Auch die typische
Frage, die man am Rande einer Tagung gelegentlich zu beantworten hat
- „An welchem Forschungsprojekt arbeiten Sie im Moment, Herr Kollege
?" -, wurde mir von ihm nie gestellt. Er verwendete die Zeit lieber
für persönliche und sozialpolitische Fragen.
Selbstverständlich haben wir auch über unsere Forschungen gesprochen
. Ich fragte ihn nach der komplizierten Druckgeschichte der anonym
erschienenen Schriften Grimmelshausens, nach den möglichen
Druckern im Straßburger Raum, nach dem Dialekt mancher Stellen der
simplicianischen Kalender, aber auch nach der möglichen Provenienz
eines Exemplars von Moscheroschs Gesichte. Ander Theil (1665) mit den
gestempelten Buchstaben „TRAVT" auf dem Oberschnitt, das ich im
Frühjahr 2006 in Rom antiquarisch erworben hatte.
Gelegentlich sprachen wir über nicht literarische Themen: Im September
2008 schrieb er mir, nachdem ich ihm eine Marginalie zum
Fußball geschickt hatte, dass er in einer Dorfmannschaft selbst Fußball
gespielt hatte und später sein Vorbild beim VfB Stuttgart gefunden
hatte: den einarmigen Robert Schlienz, der auch als junger Mann im
Krieg an der Ostfront verletzt wurde - am Kiefer, den Arm verlor er bei
einem Straßenunfall 1948 -, der aber trotzdem Nationalspieler und der
beste Spieler vom Verein überhaupt wurde.
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