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A~79l Andreas Morgenstern
1923 eine Wochenstütze von 4300 Mark. Hinzu kam für einen
Ehegatten 3800 Mark. Doch allein ein Brot kostete in dieser
Woche 1650 Mark. Zwischen Mitte 1922 und Mitte 1923 sollte
sich die Relation zwischen Erwerbslosenunterstützung und
Brotpreis um ca. 25 Prozent verschlechtern, bis sie sich danach
wieder etwas stabilisierte. Beachten muss man dabei, dass sich
nur Preisverzeichnisse für solche Waren erhalten haben, die
der staatlichen Preiskontrolle unterlagen - andere Preise dürften
noch schneller gestiegen sein.
Zur Verminderung der schlimmsten Not wurde am 7. August
die Wartezeit auf Unterstützung von einer Woche auf drei
Tage verkürzt. Im Oktober 1923 sah Baden sich gezwungen, zur
Berechnung nicht nur vergangene Teuerungen, sondern auch
die voraussehbaren der folgenden Tage einzubeziehen.35 Das
Berechnungsverfahren selbst war zur Vereinfachung bereits am
18. August an den Lebenshaltungskostenindex gebunden worden
. Geholfen hat das alles letztlich nichts. Als Zeugnis der
Machtlosigkeit gegenüber den unüberblickbar explodierenden
Preisen kann eine Anordnung angesehen werden, die das Bürgermeisteramt
im November 1923 erhielt: „Aufgrund telegrafischer
Anordnung des Herrn Reichsarbeitsministers vom 4. November
1923 sind für die Woche vom 5. bis 10. November 1923
Vorschüsse auf die Erwerbslosenunterstützung in dreifacher
Höhe der vorstehenden Sätze auf beschleunigtem Wege zur
Auszahlung zu bringen/'36 Die Erwerbslosensätze waren spätestens
jetzt zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung bereits völlig
veraltet. Eine letzte Zahl verbildlicht die gigantischen Summen
, mit denen die Menschen damals umzugehen hatten:
Nachweislich gab die Stadt Schiltach allein im November 1923
an Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld 115,274 Billionen Mark
aus.37 Ein Sechstel dieser Summe trug die Stadt selbst.
Die gigantischen Zahlenwerte für sich sagen aber noch
wenig über die Lebenssituation der Schiltacher während der
Inflation aus. Doch gerade für den Herbst 1923 haben sich in
Schiltachs Stadtarchiv zahlreiche Belege für das vielfache Leid
erhalten. Ein früher Hinweis auf die Folgen der Teuerung 1923
findet sich an einer Stelle, mit der zunächst nicht zu rechnen
ist: einer Petition von Schiltacher Hausbesitzern, welche sich
gegen den „unhaltbaren Zustand im Mietswesen" zur Wehr
setzten. Ihre Begründung beschreibt die Folge von Preisfestsetzungen
, die einerseits soziale Sicherheit bei den Mietern
begründen sollten, andererseits in dieser ungewöhnlichen Situation
die alleinige Last den Vermietern zuschoben38: „Eine
Dreizimmerwohnung in hiesiger Stadt trug dem Hausbesitzer
in der Vorkriegszeit im Durchschnitt M 15,- pro Monat ein.
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