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Inflation und Notgeld in Schiltach 1914-1923
Diese Einnahme gestatteten dem Hausbesitzer die erforderlichen
Reparaturen in der vermieteten Wohnung vorzunehmen
, Brand- und Gebäudeversicherung, Steuern und Amortisation
des Hauses zu tragen. (...) Der heute geltende, festgesetzte
Mietssatz für vorgenannte Wohnung, beträgt durchschnittlich
M 200,- bis M 260,- per Monat, was einem Arbeitsverdienst
des Mieters von ca. 20 Minuten entspricht. Diese, für die heutigen
Zeitverhältnisse der degenerierten wirtschaftlichen Lage
Deutschlands, lächerlich geringe, vom Mieter zu entrichtende
Miete, macht es naturgemäss dem Hausbesitzer einfach unmöglich
, bei den rapid gestiegenen Materialpreisen, auch nur
die kleinste Reparatur in der vermieteten Wohnung vorzunehmend39
Das wirtschaftliche Gleichgewicht war völlig aus den
Fugen geraten. Neben einer Anpassung der Mietsätze erwarteten
die Vermieter verbilligtes Bauholz von der Stadt. Seit Jahren
herrschende staatliche Verordnungen wurden also inzwischen
von allen Seiten als notwendig angesehen. Doch mag man fragen
, woher eine Verwaltung Unterstützung leisten sollte, wenn
sie jegliche Planungssicherheit verlor. Der Offenburger Kreisrat
teilte am 30. August 1923 dem Bürgermeisteramt mit, „dass
der Kreisausschuß mit Rücksicht auf die Folgen der inzwischen
in erheblicher Weise weiter fortschreitenden Geldentwertung
heute leider beschließen musste, anstatt 9900% jährlich
99900% Zuschläge zu den im Jahr 1923 zu leistenden gesetzlichen
Kreissteuer-Vorauszahlungen zu erheben, sodaß nunmehr
im Ganzen der tausendfache Betrag der für das Jahr 1922
erhobenen Kreissteuer zu erheben ist."40 Im Oktober stiegen die
Zuschläge gar auf schier unglaubliche 495 Millionen Prozent,
wobei die Mehreinnahmen dennoch keine Beruhigung brachten
, da die geforderten Zahlungen aus den Gemeinden zumeist
gar nicht erst eingingen. Zugleich musste der Kreisrat mitteilen
, seine „trostlose Finanzlage" erzwinge „alle Leistungen auf
dem Gebiete der freiwilligen Armenpflege bis auf weiteres einzustellen
".41
Im Kinzigtal blieben Krawalle der sprichwörtlich „hungernden
Millionäre" im Unterschied zu stärker städtisch geprägten
Regionen weitgehend aus. Die Gründe hierfür dürften aber
nicht etwa in einer ausreichenden Versorgung zu suchen sein.
Diese gestaltete sich vielfach trostlos. Am 12. September protestierte
Bürgermeister Wolpert gegenüber der Zuckerverteilungsstelle
: „Der von den Zuckerfabriken auf 3200000 M festgesetzte
Verkaufspreis für das Pfund August-Zucker erscheint im
Hinblick auf die von der Verbraucherschaft im Voraus geleistete
Anzahlung unerhört, so dass sich ein Teil der hiesigen
Kaufmannschaft geweigert hat, diesen Preis der Kundschaft zu
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