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Wallfahrtswege Qy
Maria Anna, der Gattin des Markgrafen Ludwig Georg von
Baden, wird berichtet, dass sie einmal „den etwa dreistündigen
Weg von Ettlingen nach Bickesheim zu Fuß zurücklegte"14, wo
doch ihresgleichen sonst komfortabel in der Kutsche vorfuhr.
Wahrscheinlich wollte sie auf diese Weise den ersehnten Erben
erwirken, der sich dann aber doch nicht einstellte. Die katholische
Linie der Markgrafen von Baden-Baden starb 1771 aus.
Eine Wallfahrt war, recht verstanden, keine Fahrt, sondern
ein Gang. Wer in späteren Zeiten ein Auto benutzte, verhielt
sich „eigentlich (...) nicht recht"15, wie es anlässlich einer Wallfahrt
nach Walldürn heißt, die Hans Bender, der spätere
Schriftsteller, um 1930 mit seinen Eltern unternahm. „Wallfahrer
mit dem Auto - das gilt nicht"16. Dass das Auto auf dem
Rückweg seinen Dienst versagte, schien diese Meinung nur zu
bestätigen. „Die andern Pilger gehen zu Fuß. Aus Trier, aus
Fulda, aus Würzburg und Köln kommen sie zu Fuß."17 Bender
kam nur aus Mühlhausen im Kraichgau.
Und für die, die es selbst nicht schafften, sprangen die sogenannten
Wallfahrtsweiber ein. „Hatte der Bauer irgendein Gebresten
, war er krank, wollte die Kuh nicht kalben oder blieb
sein Erbe aus, so versprach er sich zum Sankt Wendel, nach
Maria-Zell, auf den Odilienberg, nach Walldürn und Einsiedeln
. Später kam sogar Lourdes in Mode. Zur Ausführung der
Gelübde mangelte es bei den Bauern meist an Zeit. Da übernahmen
diese Weiber, mit dürftigem Zehrgeld und allerlei
Proviant versehen, den Bußgang mit all seinen vielen Rosenkränzen
und Vaterunsern. Es gab Mütterchen, die hundertmal
in Einsiedeln gewesen waren."18 (Und die auf diese Weise rund
50000 km zurückgelegt hatten - auf oft schlechten Wegen und
natürlich zu Fuß.) Hansjakob hat denselben Brauch mit nahezu
denselben Worten beschrieben und hinzugefügt: „Ich habe in
meinem langen Leben viele solcher Leute gekannt - es sind
meist Weibsleute, die männlichen sind noch weniger werth -
aber alle waren Betschwestern im schlimmsten Sinne des Wortes
, geschwätzig, vorlaut, krakehlend und rechte Wallfahrer
belästigend. In Hasle nannte man sie bezeichnend ,Wallfahrts-
Rätschen'."19
Begleiterscheinungen
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein und auch in Deutschland
galt, was Friedrich Engels auf einer Wanderung in Frankreich
notierte: „Die Isolierung des Bauern auf ein abgelegenes Dorf
mit einer wenig zahlreichen, nur mit den Generationen wechselnden
Bevölkerung, die anstrengende, einförmige Arbeit, die
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