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Ewald Hall
romantischen Idyll die berühmten Sesenheimer Lieder, allen
voran das bekannte Mailied oder das Liebesgedicht Willkommen
und Abschied. In Bezug auf die Mundart gehört das elsässische
Sessenheim - wie fast das ganze Elsass - ebenfalls zu den ober-
rhein-alemannischen Mundarten bzw. nach einer älteren Einteilung15
zum Niederalemannischen. Hier bildet zwar der Rhein
eine politische Grenze, die Mundarten diesseits und jenseits
dieses alten Stroms zeigen aber große Ähnlichkeiten. So hört
man dort die typisch elsässische Lautung Maawe für das oben
schon genannte Wort „Magen".
Zurück an der Rheinfähre Greffern radeln wir nun weiter
südwärts nach Lichtenau und jetzt kommt es ganz dick, d.h.
wir „überfahren" ein dickes Mundartbündel und eine politische
Grenze. Hier müsste eigentlich eine Mundartgrenztafel aufgestellt
werden. Denn wir verlassen nun endgültig das südfrän-
kisch-oberrhein-alemannische Übergangsgebiet und überqueren
hier auf badischer Seite gleich zwei der sogenannten Rheinstaffeln16
, nämlich die Bruder-Brueder-Linie17 und die „gewesen"-
„gesin"-Linie18 und sind damit gänzlich in der alemannischen
Sprachlandschaft angekommen. Südlich dieser beiden Mundartlinien
spricht man den typisch alemannischen Zweilaut Brueder
für „Bruder" und das Partizip gsi oder gsin für das neuhochdeutsche
Verb „gewesen". Wir verlassen hier auch den Bühler Raum
und treten in den Kehl-Straßburger Raum19 ein, und während
wir uns in Greffern noch auf badischem Territorium20 aufhalten
, betreten wir schon in Graueisbaum Hanau-Lichtenbergisches
Gebiet oder kurz gesagt: den badischen Teil des Hanauerlandes21
. Das Gebiet gehörte seit 1273 den Herren von Lichtenberg
mit Sitz im gleichnamigen elsässischen Ort in den Nordvo-
gesen und fiel mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 an
das Großherzogtum Baden. Renate Schrambke, ehemalige Mitarbeiterin
am Südwestdeutschen Sprachatlas, kurz SSA genannt,
weist diese Grenze in ihrer Dissertation als Mundartgrenze ersten
Grades22 aus und stuft sie damit an oberster Stelle im Ranking
der mittelbadischen Sprachgrenzen ein. Diese von Friedrich
Maurer als Rheinstaffeln bezeichneten Isoglossen brechen
am Rhein ab und setzen sich im Elsass meist weiter südlich
wieder fort, was auf der Oberrhein-Karte wie Treppenstufen23
anmutet. Sprachhistorisch ist diese Erscheinung dahingehend
zu interpretieren, dass die von Norden kommenden Sprachveränderungen
im Elsass weiter in den Süden vorgedrungen sind
als auf badischer Seite. Woran erkennen wir nun auf die Schnelle
einen badischen Hanauer? Die Antwort fällt ganz kurz aus und
ist eher in englischen Liedern zu hören: Kis. Ein Engländer mag
über diesen Kiss erstaunt sein, der Hanauer sieht das eher mate-
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