Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
96. Jahresband.2016
Seite: 262
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Günther Fischer

geliebte Heimat nicht aufgeben. Ein Lkw brachte sie zum
Hafen. Zurück blieben der gesamte Hausstand und ein wunderschöner
Garten. Über den Ostseehafen Pillau bis zur Halbinsel
Heia ging es mit dem Schiff, zu Fuß im Schnee und mit dem
Güterzug. Jedes Kind hatte einen Tornister geschultert und
zum Trost eine Puppe im Arm. Mehrere Kleider wurden übereinander
angezogen. Das Nötigste beschränkte sich auf Wäsche
und Lebensmittel, manchmal noch ein paar Wertsachen.
Immer wieder schlugen Bomben und Granaten ein. Verletzte
und Tote gehörten zum Alltag. Noch Ende März wurde Heia
von deutschen Soldaten gehalten, darunter auch Steinacher,
damit möglichst viele Zivilisten und verwundete Militärangehörige
über den Kriegs- und Zivilhafen ausgeschifft werden
konnten. Da die großen Gebäude von den Schwerverwundeten
belegt waren, mussten viele Flüchtlinge im bewaldeten Dünengelände
campieren. In eingegrabenen Badewannen und
Waschkesseln wurde das gekocht, was die Heeresverpflegung
noch aus Danzig heranzuschaffen vermochte. Am Karfreitag
1945 trafen die Guddats auf dem Kohlenfrachter „Lappland" in
Kopenhagen ein, darunter die Tante, die schwer erkrankt war.
(Bei seiner nächsten Fahrt wurde der Frachter versenkt.) Ein
Teil der Familie war zu diesem Zeitpunkt an anderen Orten
vom Feind getötet worden. Anfang April war die Familie Paulat
aus Groß-Trakehnen, an der Grenze zu Litauen, schon monatelang
unterwegs. Sie hatten den Marsch mit dem Pferdewagen
bei -38 °C über das Eis des Frischen Haffs heil hinter sich, als
ihnen in Pommern russische Truppen den Weg abschnitten
und sie zum Bleiben zwangen. In Deutsch-Bukau, Kreis Stolp,
waren sie genötigt, sich unter Fremden und Einheimischen
notdürftig einzurichten. Erst kamen sie unter sowjetische,
dann unter polnische Verwaltung. Mit Gelegenheitsarbeiten in
der Landwirtschaft und dem, was die Kinder „organisierten",
gelang das Überleben. Der zwölfjährige Bruno erkrankte an
Hungertyphus. Zehn Wochen wurde er von einem russischen
Sanitäter gesund gepflegt. Ganze zwei Jahre dauerte ihr Zwangsaufenthalt
in Pommern, bis sie von einer Tante in den Westen
geholt wurden. Gut 100 km südlich von Stolp hatte Minna
Pech, die Mutter von Frau W. Otte, schon im Februar mit ihren
fünf Kindern ihren Heimatort Eichberg verlassen. Sie waren
gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern aufgebrochen. Der
Vater und Ehemann war an der Front. Die Tiere und die Großmutter
blieben zurück. Wertvolles war eingegraben. Russische
Soldaten hatten in der Nachbarschaft bereits ältere Frauen
vergewaltigt und erschossen. Die vier Mädchen wurden zu
ihrem Schutz verkleidet und mit Ruß und Dreck hässlich her-


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