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Fremde Heimat
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für Möbel oder Material für die Reparatur von Öfen und Herden
ein Problem. Die Bevölkerung wurde zu Sachspenden aufgerufen
und Kriegsheimkehrer sollten Teile ihrer Uniform abgeben.
Milan Strach erinnert sich an die 112.- DM Überbrückungsgeld,
die seine Mutter bekam. Die Flüchtlingsbeihilfe für drei Personen
betrug 1950 99- DM. Wundersame Dinge erzählten sich die
Einheimischen über die Geldsummen aus dem sogenannten
Lastenausgleich. Nichts von alledem entsprach der Wahrheit.
Anspruch auf Entschädigung hatten lediglich solche, die Grundbesitz
oder einen Gewerbetrieb nachweisen konnten. Das konnten
nur wenige. Als dann die Gemeinde in der Amtszeit von
Bürgermeister Witt Bauland zur Verfügung stellen konnte, und
zinsgünstige Darlehen auf den Markt kamen, boomte der Siedlungsbau
in der Andreas-Fischer- und Kolpingstraße und im
Kirchgrün. In der Friedhofstraße baute man an den unfertigen
Häusern, die im Rahmen eines nationalsozialistischen Kleinsiedlungsprogramms
durch den Kriegsbeginn nicht fertig geworden
waren, weiter. Mit viel Eigenarbeit, Sparsamkeit, Überstunden
und Zielstrebigkeit erfüllten sich etliche Nicht-Stei-
nacher den Traum vom Eigenheim und schufen noch Mietwohnungen
dazu. Im Allgemeinen wurden die Heimatlosen von der
Bevölkerung freundlich und hilfsbereit aufgenommen. Gehässigkeiten
waren eher die Ausnahme. Erika Guddat-Kamps hat
die besondere Gastfreundschaft in der Adventszeit in der Friedhofstraße
nicht vergessen. Gerhard Faltin wähnte sich im Paradies
, als er im Niederbach unter einem Baum Äpfel liegen sah.
Als dann die Besatzungsmacht nach und nach Vereinsgründungen
gestattete und die Fasend wieder ausgeschellt wurde, waren
auch Neubürger unter den Aktiven. Es wurden Flüchtlingsehen
und „Misch"ehen geschlossen, wobei Ökumene noch unbekannt
war. So manches katholisch-protestantische Paar kann
davon ein Lied singen. Fünf Prozent der Steinacher waren jetzt
evangelisch. Bei den frühen demokratischen Wahlen waren
auch sie mit ihrer Stimme an der Neuausrichtung der Bundesrepublik
beteiligt. Im Jahr 1949 hat eine Reihe Flüchtlingsfrauen
einen Antrag auf Verschollenen- bzw. Hinterbliebenenversorgung
gestellt. Sie lebten fortan mit der traurigen Gewissheit,
dass ihre Ehemänner den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hatten
. Auf die Frage, wo denn heute ihre Heimat ist, nannten die
meisten Steinach. Unter der Eltern- und Großelterngeneration
gab es etliche, die ihrer alten Heimat nachtrauerten, an Treffen
der Landsmannschaften teilnahmen, oder deren Schriften
lasen. Sie sind hier nicht heimisch geworden. Inzwischen aber
ist die Integration längst vollzogen. Steinach hat von seinen
Neubürgern nur profitiert.
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