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Günther Fischer
A. Tonoli. Michael Silzer war ein begabter Handwerker, ein begeisterter
Anhänger des SV Steinach und Geflügelzüchter. Das
Deutsch der Eltern blieb holprig und untereinander sprachen
sie weiterhin rumänisch. Die Kinder verdingten sich beim
Mehl-Maier und in der Obermühle. So trugen sie zum Familieneinkommen
bei.
Das seelische Erbe
Mit dem Tod der Menschen, die selbst Opfer von Flucht und
Vertreibung geworden waren, ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen
. Was sie möglicherweise haben erleiden müssen:
Verlust der Heimat, Vergewaltigung, Elend, Hunger oder der
Verlust von Angehörigen waren traumatische Erfahrungen, die
nie aufgearbeitet wurden. Deren Folgen können in die Generation
der Kinder und Enkelkinder hineinwirken. Die Nachgeborenen
haben vielleicht Verhaltensweisen an sich selbst oder an
den Eltern oder Großeltern beobachtet, die sie nicht erklären
können. Menschen können unter den Folgen von Kriegstraumata
leiden, ohne sie selbst erlebt zu haben.
Im Flüchtlingstreck konnte man sich keine Schmerzen „erlauben
". Also wurde auf die Zähne gebissen. Trauer wurde
nicht gelebt, sondern es wurde so getan, als gäbe es sie nicht.
„Stell dich nicht so an", war eine gängige Redewendung. In der
Kriegs- und Nachkriegszeit war es überlebensnotwendig und
sinnvoll, Gefühle unter Kontrolle zu haben. Die Kinder der
nächsten und übernächsten Generation können aber nicht
verstehen, warum sie sich nicht richtig freuen dürfen, warum
Menschen ihre natürlichen Gefühlsäußerungen nicht zeigen,
ja, nicht zeigen dürfen. Wer aufgewachsen war mit dem Satz
„Sag immer, wo du bist", konnte sicher nicht nachvollziehen,
warum über den Aufenthaltsort ständig Auskunft gegeben
werden sollte. Der Aussage liegt eine starke Verunsicherung
zugrunde. Nicht zu wissen, wo nahe Angehörige waren, konnte
ja bedeuten, dass sie nicht mehr lebten, gefangen oder verschleppt
waren. Millionenfach wurden Soldaten, Hitlerjungen,
und BDM-Mädchen durch die Ideologie der Nationalsozialisten
missbraucht. Das hat diese Menschen sehr enttäuscht und sie
wollten nie wieder etwas mit Politik zu tun haben. Sie nahmen
die Haltung „sich aus allem heraushalten" ein. Menschen, die
existenziell bedrohliche Erfahrungen erlebt haben, leiden in
der Folge oft an konkreten sowie sehr diffusen Ängsten. „Aufgegessen
wird", und zwar alles! Das bedurfte damals in der
schlechten Zeit keiner besonderen Aufforderung. Gegessen
wurde, was auf den Tisch kam, und dass man überhaupt etwas
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