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Karl Hansert
Der Vorsitzende des katholischen Arbeitervereins bekam auf
einem abgerissenen kleinen Stück Papier - es ist im Aktenfaszikel
erhalten! - ohne weitere Anrede am 30.08.1933 die Nachricht
: „10 Mann kath. Arbeiterverein: Sie werden aufgefordert,
heute Abend 8 Uhr im Bürgersaal zu erscheinen, indem Sie auf
Sonntag zur letzten Sammlung für ,Mutter und Kind' eingeteilt
sind. Bei Nichterscheinen wird unbedingt Sabotage angenommen
. Heil Hitler! Der Ortsgruppenleiter".
Der Pfarrer erhielt natürlich Kenntnis von dieser Aufforderung
. Aber damit war der Herr Ortsgruppenleiter an den Richtigen
geraten: der Weltkrieg-l-Frontsoldat, mehrfach verwundet
und mit dem Frontkämpferkreuz ausgezeichnet, weist den
NSV-Mann darauf hin, dass die kirchlichen Vereine nur ihm,
dem Pfarrer, unterstellt sind und „ersucht nun zum dritten
Male um die Einhaltung des Instanzenweges, Aufforderungen
an die kirchlichen Vereine also an das Pfarramt zu richten",
und er fährt fort:
„Schärfstens zurückweisen muss ich aber den Ton der Aufforderung
, ,bei Nichterscheinen wird unbedingt Sabotage angenommen
': Ich halte diese Beifügung für eine derartige Amtsanmaßung
, dass ich nicht umhin kann, mein Befremden darüber
öffentlich in aller Form auszusprechen. Ich mache die Mitwirkung
meiner Leute bei der morgigen Sammlung und meine fernere
Mitgliedschaft bei der N.S.V. davon abhängig, dass der besagte
Satz in aller Form zurückgenommen wird. (...) Ich halte nicht
dafür, dass man auf solchen Methoden das bald einsetzende
Winterhilfswerk wird aufbauen können. Gegen das Werk wehrt
sich niemand in unseren Reihen. Aber mit Peitsche und Revolver
lassen wir uns nicht zum Wohltun zwingen." (Der letzte Satz ist
unterstrichen.)
Der N.S.V-Ortsamtsleiter äußerte sich nicht, der Pfarrer weigerte
sich, wie angekündigt, unter diesen Umständen seinen
Beitrag zu zahlen, und so wurde ihm „am 23. Oktober 1933
vom N.S.D.A.P. Gau Baden durch den N.S.V Kreisamtsleiter,
Abteilung Organisation, die bisherige Mitgliedschaft(!) entzogen
, mit sofortiger Wirkung! Heil Hitler".
Inzwischen wurden die Auseinandersetzungen schärfer:
Am Vormittag des letzten Sonntags im Oktober 1933, am damals
noch sogenannten Christkönigsonntag, kam, ganze neun
Monate nach der „Machtergreifung", aus Offenburg ein SA-
Zug, marschierte mit Blasmusik und Trommel an der Kirche
vorbei, kam zurück und stellte sich schließlich auf dem Kirchplatz
auf, unverändert blasend und trommelnd, während in
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