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Andre Gutmann
Entstehungsumstände
Vor einer inhaltlichen Analyse des Berichts muss zuvor auf
die Umstände seiner Entstehung eingegangen werden, die
unmittelbare Auswirkung auf die Beurteilung des Inhalts und
seiner Interpretation hat. Es handelt sich um den Bericht
einer befreundeten Gemeinde an die Stadt Straßburg bzw.
genauer des Ratsgremiums der Stadt Offenburg an dessen Kollegen
in Straßburg, wobei angesichts der vielfältigen ökonomischen
wie wohl teilweise auch verwandtschaftlichen Verbindungen
der Führungsschichten beider Städte auch von
entsprechenden Beziehungen zwischen einzelnen Angehörigen
der Ratsgremien ausgegangen werden muss. Weiterhin
richtete sich der Offenburger Bericht an einen durch den
Umsturz vom 10. Februar 1349 neu gewählten Straßburger
Rat, dessen Zusammensetzung gerade dadurch beeinflusst
war, dass große Teile der Bürgerschaft, insbesondere seitens
der Zünfte, den alten Rat wegen einer angeblich zu zurückhaltenden
Politik gegenüber den Juden abgesetzt sehen wollte;
wie die weiteren Entwicklungen bis zum Pogrom vom 14. Februar
zeigen, handelte es sich bei dem neuen Rat um ein Gremium
, in dem eine judenfeindliche Haltung ein deutliches
Übergewicht besaß.24 Dementsprechend wäre es relativ merkwürdig
, wenn die Offenburger einen - so Martin Ruchs Interpretation
- apologetischen Bericht über ihre Behandlung der
Offenburger Juden an Straßburg hätten abliefern wollen,
wohlwissend, dass im Straßburger Rat gerade eine genau umgekehrte
Stimmung herrschte. Hier sollte der Bericht mit ergebnisoffenerem
Blick betrachtet werden, der nicht einfach
den Stereotyp der „antisemitischen Haltung aller städtischer
Obrigkeiten" bedient. Es muss nicht gleich eine „Anwandlung
von Edelmut" im Offenburger Rat angenommen werden, eine
kritischere Begutachtung als die von Martin Ruch gelieferte
hat der Text aber allemal verdient.
Das gesamte Schreiben umfasst zwei volle Seiten, der wichtigste
Satz steht jedoch ganz am Ende: Und von dem prünnen,
von dem si gesät heten [dass er „verunreinigt" worden sei], den
erschöpft man, da vande man niüt inne (Z. 51 f.).25 Unter dieser so
formulierten Prämisse, nämlich dass sich trotz der durch Folter
erwirkten Geständnisse keinerlei positive Beweise für eine
Verunreinigung bzw. Vergiftung des von den Beschuldigten
angezeigten Offenburger Brunnens hatten finden lassen,
steht der gesamte Bericht und muss auch so interpretiert werden
!
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