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Andre Gutmann
erhebliche Irritationen gesorgt haben, widersprach es doch
allem andernorts und dann ja auch in Straßburg geübten Umgang
mit den jüdischen Gemeinden, deren vollständige Auslöschung
geradezu planmäßig betrieben wurde. Die Beschuldigung
aller Juden im Kollektiv, Teil einer Verschwörung gegen
ihre christlichen Mitmenschen zu sein, verlangte geradezu
nach einer Bestrafung auch des gesamten Kollektivs. Es ist
noch einmal zu betonen, dass es aufgrund der Umstände und
des Adressaten des Berichts keinen Anlass gab, dass der Offenburger
Rat hier selbst irgendwelche Umstände beschönigt oder
gar erfunden hat. Vielmehr spricht dieses Gegenangebot an
„ein oder zwei oder alle" jüdische Familien - freier Abzug
als Alternative zu einem „freiwilligen", selbst erwählten Feuertod
- dafür, dass der Offenburger Rat die restliche jüdische
Gemeinde gerade nicht wie andernorts zum unmittelbaren
„Täterkreis" zählen wollte, dem das gleiche Schicksal wie den
eigentlichen Tätern widerfahren sollte. Vor diesem Hintergrund
gewinnt der obige Vorschlag zur Rekonstruktion der
verlorenen Textteile zusätzliches Gewicht: Er bezieht sich wohl
auf die Hinrichtung der beiden Juden Süßkind und Schaden
unmittelbar nach ihrem durch Folter erzwungenen Geständnis
: Da diese veriehen, s[o hant wir si gebrant] (Z.38). Erst auf
diese Weise wird auch das Gegenangebot an „die Juden", nämlich
die restliche Gemeinde, verständlich. Wie umfangreich
sich diese restliche Gemeinde gestaltete, ist aus den Angaben
indes kaum zu eruieren, es dürften jedoch mindestens drei
weitere Haushalte oder Familien gewesen sein, wenn die Angabe
„einer oder zwei oder sie alle" einen Sinn ergeben soll.
Dem Bericht zufolge habe der Rat jedoch auch - für den Fall,
dass die jüdische Gemeinde keinen Abzug wünschte - vorgeschlagen
, deren eigenes „Angebot" aufzunehmen, ihnen zu
befehlen mit ihrem Gut, also ihrer Habe, ein Feuer zu machen,
wobei der Rat ihnen aber nicht befehlen wolle, auch dort hinein
(in den Feuertod) zu gehen: Wölten si aber dez nit, so wölten
wir in gern heissen ein fiür machen von dem iren, aber wir wölten si
nit dar in heissen gan (Z.46ff.). Sofern sie jedoch hinein gehen
wollten, so könnten sie dies tun, was sie dann auch taten: wölten
si darin, daz si daz däten. Da giengen si och darin (Z. 48ff.). Mit
diesen scheinbar nüchternen Worten dokumentiert der Bericht
die Auslöschung der gesamten jüdischen Gemeinde Offen-
burgs durch den Feuertod.
Diese merkwürdige Selbstdarstellung des Offenburger Rats,
der seine jüdischen Mitbürger nach der Verurteilung und
wahrscheinlichen Hinrichtung der beiden geständigen Täter
vor die scheinbar diametral gegensätzliche Wahl zwischen Feu-
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