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Andre Gutmann
So erscheint es auf den ersten Blick schwer vorstellbar, dass
ein Gebäude in Besitz und Nutzung der jüdischen Gemeinde
nach deren Vertreibung oder Auslöschung einfach über Jahrzehnte
danach leer stehen gelassen worden sein soll,44 gerade
vor dem Hintergrund, dass es ein prominenter Aspekt der Judenpogrome
war, dass sich ihre Mörder danach des Besitzes der
Juden bemächtigten. Denkbar wäre dies allerdings unter der
Annahme, dass die Pestzüge der Jahre 1348/49 auch in Offenburg
breite Lücken in die Bevölkerung geschlagen hatten, sodass
in der gesamten Stadt auf Jahrzehnte hinaus großflächiger
Leerstand an Gebäuden geherrscht haben könnte, weshalb die
ehemalige Synagoge keine Inbesitznahme bzw. Umnutzung
erfuhr; aber auch dafür fehlen uns jegliche Belege.
Genauso unsicher ist, ob die Bezeichnung Judengasse eine
1392 noch aktuelle „funktionale" Bezeichnung war, also „die
Gasse, in der die Juden leben". Gegen diese Annahme könnte
die parallel verwendete Bezeichnung derselben als „Spitalherrengasse
" ins Feld geführt werden. Sie könnte darauf hindeuten
, dass hier ein Prozess der versuchten Umbenennung mit
einem neuen Namen im Gange war, der die alte Bezeichnung
„Judengasse" ablösen sollte, weil diese eben keine aktuelle
Funktion mehr benannte, da in der Gasse keine Juden mehr
lebten! Zwar ist der Erfolg dieser Maßnahme nicht belegt, die
Urkunde von 1392 ist der einzige Beleg der „Spitalherrengasse",
aber auch die Bezeichnung „Judengasse" verschwindet danach
für über 170 Jahre aus den Quellen. Sie wird erstmals wieder
1562 genannt und ist von da an mehrfach bis zur Umbenennung
1824 in die „Bäckergasse" belegt.45 Die Bezeichnung „Spitalherrengasse
" zielte 1392 vermutlich auf den alten Namen
der heutigen Glaserstraße als Spitalgasse, von der sie abzweigt,
wenngleich der Name Spitalgasse selbst erst ab dem frühen
16. Jahrhundert nachzuweisen ist.46 Umfang und Gestalt des
spätmittelalterlichen Baubestands an diesen Straßen ist nicht
sicher feststellbar, da archäologische Untersuchungen gezeigt
haben, dass der heutige Straßenverlauf der Glaserstraße nicht
dem des späten Mittelalters entsprechen kann.47 Denkbar ist
jedoch, dass sich im Bereich zwischen heutiger Spitalstraße
und Bäckergasse mehrere Wirtschaftsgebäude des nahegelegenen
Andreasspitals, etwa Speicher oder Stallungen, befunden
hatten.48
Der Beleg einer Judengasse und einer Synagoge zum Jahr
1392 lässt somit keinen eindeutigen Schluss zu, ob es sich zu
dieser Zeit noch um aktuell funktionale Beschreibungen und
entsprechend Verweise auf das Vorhandensein einer jüdischen
Gemeinde, oder doch nur um (immerhin noch recht leben-
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