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Die Gemeinde Nordrach und das Lebensbornheim „Schwarzwald"
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der nationalsozialistischen Knechtschaft befreit werden, für
die Speisenwahl ausschlaggebend gewesen sein könnte, nicht
ganz abwegig. Gleichzeitig war Oehler als Urheberin klar ersichtlich
, da sie als Köchin den Speiseplan mit Kenntnis der
verfügbaren Lebensmittelbestände miterstellte. Demnach muss
sie eine mögliche Sanktion für dieses unangepasste, widersetzende
Verhalten wissentlich in Kauf genommen haben.110
Letztlich ist es nicht einfach zu beantworten, wie Oehlers Handeln
bewertet werden muss, denn über den weiteren Verlauf
lassen sich mangels Quellenbelegen nur Vermutungen anstellen
. Unbestritten ist jedoch die „eigensinnige Freiheit",111 welche
sie sich als Köchin herausnahm und die mit der Zubereitung
der Matzenknödel ihren Höhepunkt in einem „quertreibenden
Verhalten"112 fand. Es ist anzunehmen, dass sie zumindest
ermahnt wurde, denn die Matzenknödel standen nach
ihrem vierten Erscheinen im April 1943 nie wieder - auch 1944
nicht - auf dem Nordracher Speiseplan.
Im Jahr 1944 wurde die Ernährungslage im Heim „Schwarzwald
" verglichen mit den beiden Jahren zuvor, merklich
schlechter. Fleisch- und fleischhaltige Mahlzeiten nahmen
deutlich ab, während die Zahl der Innereien ungefähr gleichblieb
. Eierspeisen wurden nun deutlich häufiger angeboten.
Obstmahlzeiten nahmen zugunsten von Saftgaben ab. Bezüglich
des Kuchenangebots ist ein leichter Anstieg der Hefeerzeugnisse
erkennbar. Dennoch bot die Ernährung für Kriegszeiten
eine äußerst vitamin- und nährstoffreiche Zusammenstellung
, die immer noch zahlreiche tierische Eiweiße und
Fette beinhaltete.
Die Speisezettel aus dem Jahr 1945 sind nicht archiviert und
können als Kriegsverlust gelten. Mit der Aussage einer Frau,
welche im Februar 1945 in Nordrach entband, liegt jedoch eine
wichtige Zeitzeugenaussage vor. Diese bestätigt, dass das Heim
„Schwarzwald" nahezu zweieinhalb Jahre lang aus den immensen
Vorräten der Rothschild-Klinik schöpfen konnte: „Die
Verpflegung war sehr gut. Im Keller des Hauses waren viele
Vorräte der jüdischen Familie, die zuvor in dem Haus gelebt
hat."113
Doch nicht nur der Ernährung der Schwangeren und Mütter
, sondern auch der Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern
kam ein außerordentlich hoher Stellenwert zu. Es
herrschte für jede gesunde Mutter Stillpflicht. In Fällen, in
denen eine Mutter nur wenig Milch hatte, wurde die Tagesmenge
in Gramm protokolliert und der Säugling vom Heimarzt
besonders beobachtet und auf ein eventuelles Auftreten einer
Rachitis kontrolliert.114 Auch Frühgeburten standen unter be-
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