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Nach dem Holocaust:
„Mörder unter uns" in Offenburg
Martin Ruch
„Die Mörder sind unter uns", so lautete ein berühmter Filmtitel
des Jahres 1946: Der Zweite Weltkrieg war vorbei. Susanne Wallner
(Hildegard Knef) hatte das Konzentrationslager überlebt
und kehrte in das zerstörte Berlin zurück. In ihrer Wohnung
lebte der ehemalige Militärchirurg Mertens (Wilhelm Borchert),
der seine Erinnerungen mit Alkohol zu verdrängen versuchte.
Sein ehemaliger Hauptmann, der für ein Massaker am Weihnachtsabend
1942 verantwortlich war, agierte hingegen bereits
wieder als angesehener Geschäftsmann ohne Schuldbewusst-
sein ...
Es muss viele Orte im Nachkriegsdeutschland gegeben
haben, in denen die Täter von einst wohnten. Sie wurden einfach
zu Nachbarn, ohne dass man von ihrer jüngsten Vergangenheit
etwas wusste, es sei denn, sie äußerten sich selbst unverhohlen
zu ihren Taten und Einstellungen, wie der Offenburger
Gymnasiallehrer Ludwig Zind.1 Aber meistens haben sie
ihre Schuld, haben sie ihr Wissen verschwiegen. Wolfgang M.
Gall hat für Offenburg die Karrieren einstiger Parteigrößen in
der Stadtverwaltung und überhaupt in der Nachkriegsgesellschaft
recherchiert. Er hat beispielsweise geschildert, wie etwa
ein führendes Gründungsmitglied der NSDAP in Offenburg
sich nach 1945 frech freisprechen wollte.
„Wiegert bat im Januar 1953 um Gnade mit dem Hinweis, dass
einst führende Nationalsozialisten längst wieder in Ämter gelangt
und rehabilitiert worden seien. Auch habe er durch seine
Internierung keine Gelegenheit wie die in Freiheit befindlichen
Täter sich Alibis und Entlastungszeugen zu beschaffen ..."2
Ohne Schuldbewusstsein, ohne Eingeständnis zumindest einer
Mitschuld war auch der seit 1963 bis zu seinem Tod 1985 in Offenburg
lebende Wilhelm Ruby. Das geht aus den Unterlagen zu
einem Ermittlungsverfahren hervor, das der Oberstaatsanwalt
beim Landgericht Offenburg 1967 gegen den Polizeimeister
Ruby (geb. 18.4.1906 in Ratkau, Sudetenland) wegen Mordes
eingeleitet hatte.3 „Der Beschuldigte soll in mehreren Fällen
Juden und Polen in Mszana/Dolna erschossen haben. Dieser
Verdacht stützt sich auf die Angaben der Polin Maria Stozek."
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