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Erinnerungskultur in Offenburg: Bilanz und Blick in die Zukunft 393
Die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte und der
Erinnerungskultur, so zeigte auch die Straßennamen-Debatte,
kann und darf nicht ausschließlich durch die Verwaltung getragen
werden. Sie kann erst dann als lebendig gelten, wenn sie
mitten in der Stadtgesellschaft angekommen ist. Für Offenburg
ist es daher besonders wichtig, dass sich Offenburger Kirchen,
die Schulen, die Gewerkschaften, Vereine und mit ihnen viele
Bürgerinnen und Bürger engagieren.
In den vergangenen Jahren haben sich Politik und Gesellschaft
stark verändert. Die Distanz zur Zeit des Dritten Reiches
ist gewachsen, die nachfolgenden Generationen haben eine
andere Beziehung zur NS-Geschichte als die Generation der
persönlich Betroffenen und deren Kinder. Familien mit Migrationshintergrund
bringen eigene Gedenkkulturen und Wertvorstellungen
mit. Und auch das politische Weltsystem hat
sich in einer vor Jahren nicht für möglich gehaltenen Dynamik
von der unmittelbaren Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs
entfernt. Aktuelle Krisen, Kriege und ethnische Verbrechen
lassen die NS-Zeit in den Hintergrund treten. Gleichzeitig gewinnen
die Menschenrechte plötzlich auch mitten in unserer
Gesellschaft erneut an Bedeutung, insbesondere durch Gefahren
des internationalen Terrorismus und durch rechtspopulistische
Bewegungen.
Im Januar 2017, kurz vor dem Holocaust-Gedenktag, brachte
die Af D im Haushaltsausschuss des Landtags einen Antrag ein,
mit dem sie der NS-Gedenkstätte Gurs die Fördergelder komplett
entziehen wollte. In das 1939 errichtete ehemalige Lager
Gurs in Frankreich am Fuße der Pyrenäen waren Juden aus
dem badischen Landesteil deportiert worden. Die finanzielle
Unterstützung der Gedenkstätte sei „in Zeiten der Haushaltskonsolidierung
nicht zu erklären. Die Landesregierung vernachlässigt
ihre Kernaufgaben", lautete die Begründung der
AfD zu ihrem Vorschlag, den Betrag in Höhe von 120.000 Euro
zu streichen. In dieses Bild passt indes ein weiterer AfD-Antrag,
der darauf abzielte, Zuschüsse für Fahrten zu „Gedenkstätten
nationalsozialistischen Unrechts" umzuwidmen für Fahrten
zu „bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte". Beide
Anträge wurden abgelehnt.
Grundsätzliche Überlegungen einer künftigen
Erinnerungskultur
Es ist Aufgabe einer modernen städtischen Erinnerungskultur,
allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu den gemeinsamen
Erinnerungen zu ermöglichen - und zwar unabhängig
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