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Erinnerungskultur in Offenburg: Bilanz und Blick in die Zukunft 397
1. Wichtig ist ein emotionaler Zugang zur Geschichte der NS-
Herrschaft, indem junge Menschen durch die Erforschung
der eigenen Familiengeschichte oder die Beschäftigung mit
der Biografie von Tätern und/oder Opfern motiviert werden.
Wie intensiv die Auseinandersetzung in unserer Stadt sein
kann, zeigt das positive Beispiel des seit zehn Jahren existierenden
Gedenkbuchprojektes. Hier recherchieren Schüler/
innen unter fachlicher Anleitung des Archivs die Lebensgeschichten
Offenburger Juden. Eine Schülerin nahm sogar
mit in den USA lebenden Nachfahren einer Offenburger
Jüdin Kontakt auf und besuchte die Familie.
2. Wichtig ist auch die Möglichkeit der persönlichen Auseinandersetzung
mit dem Thema. Deshalb sind unterschiedliche
Zugänge zu den Themen, unterschiedliche Formen der
Auseinandersetzung und verschiedene intellektuelle Zugangsebenen
von großer Bedeutung. Bisher bereits erfolgreich
und zugleich zukunftsweisend in Offenburg sind die
Projekte von Baal Novo, der Schultheater, der Jungen Theaterakademie
sowie Film- und Onlineprojekte, beispielsweise
der Hochschule Offenburg.
Brauchen wir in einer Einwanderergesellschaft
und angesichts der Europäisierung und Globalisierung
eine andere kommunale Erinnerungskultur?
Im Zuge von Migration und Globalisierung geraten Geschichte
und Erinnerung stärker als je zuvor in den Sog von gesellschaftlichen
Pluralisierungsprozessen. Die Zugänge zu bestimmten
historischen Ereignissen und die damit verbundenen
Geschichtsbilder und Erinnerungswelten verändern und
vervielfältigen sich. Das kollektive Gedächtnis der Deutsch-
Türken/innen, Spätaussiedler/innen, der Kriegsflüchtlinge und
Asylsuchenden verbindet sich erst langsam mit dem des Gastlandes
und hat in der Mehrheitsgesellschaft (noch) keinen
Platz gefunden.
Als Gruppen in der Stadtgesellschaft verfügen die Neubürger
über einen eigenen kollektiven „Erinnerungspool", zu dem
andere Gruppen, wie etwa auch die Mehrheitsgesellschaft, nur
wenig Zugang haben, weil diese Erinnerungen (bisher) nicht
institutionalisiert sind. Das mag einer der Gründe sein für die
starke Community-Bildung von Migranten, die auf längere
Sicht zu Parallelgesellschaften führen kann, wie wir sie in vielen
Städten beobachten und häufig kritisieren. An dieser Stelle
ist also zu überlegen, wie die kollektiven Erinnerungen von
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