Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
97. Jahresband.2017
Seite: 465
(PDF, 82 MB)
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Neue Literatur

nierungen - und um die staatlichen Versuche,
die Bevölkerung mittels „vaterländischer Vorträge
" auf die Verknappung einzustimmen.
(Dabei wirkte auch ein späterer Reichskanzler
und noch späterer Pazifist mit, der „Reichstagsabgeordnete
Dr. Joseph Wirth vom Zentrum
"; Seite 55.) Aus dem Dorf halfen dabei
besonders die Lehrer und Pfarrer, wenn sie
etwa die Heldentaten der deutschen Soldaten
lobten, Gehorsam und Befolgung der Anordnungen
der Obrigkeit forderten - so wie die
„absolute Opferbereitschaft der Bevölkerung"
(Seite 55).

Neu daran ist sicherlich vielen Lesern, dass
die untere Verwaltungsebene durchaus nicht
alles vollziehen wollte, was von oben kam, wie
etwa aus Nordrach berichtet wird nach Angaben
aus dem Gemeindearchiv. Denn die Einschränkungen
gingen sehr weit, griffen in den
selbstverständlichen Teil des Alltags ein: man
weiß, dass viele Kirchenglocken für den Krieg
eingeschmolzen wurden, dass man Bauern die
Pferde wegnahm. Außer Getreide musste auch
Holz abgegeben werden, ferner Metalle, Leder,
Öl. Die Gemeinden mussten oft einwenden,
dass z.B. die Holzanforderung nicht erfüllt
werden kann - „weil der Sägmüller sowie seine
Leute und Pferde zum Kriegsdienst eingezogen
sind" (Seite 72). Bei den Metallen betraf es vor
allem Kupfer, Messing, Zinn und Nickel. Darunter
fielen die 25-Pfennig-Stücke, Kupferkessel
der Branntweinbrennereien, Dachkupfer
und Blitzableiter - und sogar Bierglas- und
Bierkrugdeckel. Aus den Kirchen konnte das
Militär auch die Orgelpfeifen aus Zinn gebrauchen
, bei den Fahrrädern waren es vor allem
die Reifen. Auch hier hatte sich manche Gemeinde
„trotz mehrfacher Aufforderungen
lange taub gestellt" (Seite 73). Weil die Soldaten
an der Front ja auch ernährt werden müssen
, hatten die Dörfer ausreichend Nahrungsmittel
abzuliefern. Das war oft mit der Drohung
der Enteignung verbunden, weil die
Eingriffe in das Leben der Bevölkerung sehr
weit gingen und es daher häufig zu Weigerungen
und Verschleppungen kam - trotz der
allgemein verbreiteten „vaterländischen Gesinnung
" .

Die Lebensmittelspenden sollten nicht nur
die Soldaten ernähren helfen, sondern auch
„badische Schwerstarbeiter in der Kriegsindustrie
" (Seite 77). Dazu gehörten etwa Arbeiter in
der Schmuckstadt Pforzheim, die sich dafür
bedankten. Damit verbunden war dann eine
Veranstaltung im Dorfgasthaus, wo nach
einem Musikprogramm und einem „allgemeinen
Lied", vermutlich einem Kriegsgesang,
sowie einem kriegerischen Vortrag „schöne
Schmuckgegenstände im Wert von 100 Mk"
unter den Spendern verlost wurden (Seite 77).
Die Einschränkungen für die Bevölkerung sind
auch daran zu erkennen, dass es nach der Rationierung
von Mehl und Brot im April 1915
in sämtlichen Wirtschaften verboten wird,
„Brot und Wecken an Gäste auszugeben,
mit Ausnahme der Übernachtungsgäste"
(Seite 76). Die Tagesgäste haben ihren Bedarf
selbst mitzubringen.

Ab 1915 geht es auch um Flüchtlinge, um
eine aktuell erscheinende Frage: wie viele
kann ein Dorf aufnehmen? Und dann, nach
den vielen Siegen, die mit dem Waffenstillstand
am 9. November 1918 endeten (Seite 80:
„Erfolgsberichte bis zum 8. November 1918"),
brauchte das Heer alles nicht mehr und es
blieb beim Rückzug „einfach liegen": Munitionskarren
und alle Arten von Munition,
Handwerkszeug, Gasmasken, Seitengewehre -
aber auch Kleidungsstücke. Es wurden Sammelstellen
eingerichtet, die Gemeinden konnten
die Bedürftigen nun mit Unterhosen versorgen
(Seite 79). Aber auch der Alkohol floss
nun woanders hin, Tausende Flaschen Rotwein
, Süßwein und Branntwein konnten
„günstig an Privatpersonen weitergeleitet werden
", ebenso Rauchwaren und Pferdedecken.

Zur Förderung der Erträge für den Krieg
war im April 1916 die Sommerzeit eingeführt
worden, mancher Gemeinderat wehrte sich
dagegen - mit Begründungen, die auch heute
für diesen Unsinn gelten (Seite 79f.). Ein kurioses
Verbot betraf den Themenbereich Kriegsgefangene
, auf den hier leider aus Platzgründen
nicht näher eingegangen werden kann:
die Vogelscheuchen durften nicht mehr wie
bisher mit „Zivilkleidern und Hüten" ausgestattet
sein - weil sich die geflohenen russi-


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