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Oberharmersbach zu Beginn der Weimarer Republik 1918-1923
Dass das Problem der Erwerbslosigkeit eine fast zu vernachlässigende
Größe war, mag auch der wirtschaftlichen Struktur der
Gemeinde geschuldet sein, weil damals noch in der Landwirtschaft
und der Waldwirtschaft alle verfügbaren Kräfte gebraucht8
wurden. Über die damals in diesem Bereich ausbezahlten
Löhne gibt es keine Zahlen, meist dürften die Arbeitskräfte
dafür Naturalien - Lebensmittel - erhalten haben.
Von den unmittelbaren politischen Nachkriegswirren, die
vor allem in den Städten um sich griffen, blieb der abgelegene
Ort weitestgehend verschont. Zwar geisterten allerlei Schreckensmeldungen
über Unruhen in Hamburg und anderswo
durch den Ort - Folge einer nur unzureichenden Informationslage
-, aber die dadurch verursachte Panik währte nur kurz. Die
Gemeinde bot dennoch 1918 eine Volkswehr auf, die aber
rasch wieder aufgelöst wurde. Man fürchtete tatsächlich die
Spartakisten, die möglicherweise auch hier im Tal ihr Unwesen
treiben könnten. 1920 bestand noch kurz eine Gemeindewehr
mit 73 Mitgliedern. Diese war mit 73 Gewehren und 1200
Schuss Munition ausgerüstet.9
Allerdings waren die Auswirkungen der Unruhen zu spüren.
Wegen des Kohlemangels fuhren Züge nur unregelmäßig,
wichtige Lieferungen blieben immer wieder aus. Gleichzeitig
stieg die Kriminalität:
Das Eigentum ist gefährdet, durch Diebstahl, Raub, Plünderung.
Bahnwagen werden aufgebrochen, Pakete verschwinden. Betrügereien
werden ausgeführt.10
Trotz allem versuchten die Menschen an den Alltag der Vorkriegszeit
anzuknüpfen. Nach und nach fanden sich die Vereine
der Vorkriegszeit zusammen, Sänger und Musiker traten
wieder auf.
Selbst die „Freiwillige Bürgerwehr" als Traditionsverein
hatte am Fronleichnamstag 1919 ihren ersten Auftritt in farbenfroher
Tracht, aber sie geht mit Hinterladern.n
Am Fest des Kirchenpatrons („Gallustag", 16.10.; Feier am
Sonntag, 19.10.1919) beteiligten sich beim Einmarsch in die
Kirche 25 Musiker und 36 Mitglieder der Bürgerwehr. Im Dorf
herrschte an jenem Sonntag fast schon wieder die Stimmung
wie in den Vorkriegs jähren, denn das Karussell hat die Feier sehr
gestört.12
Hin und wieder suchte man nach Ablenkung, vielleicht
auch um zu vergessen. Pfarrer Busse beklagte die Tanzwut und
das Wüsttun, das trotz der schrecklichen Erlebnisse immer
mehr um sich greife.13 Mit gesetzlichen Maßnahmen versuchten
die Badische Landesregierung und die Gemeinde, solche
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