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Kehl im letzten Kriegsjahr: Aus dem Tagebuch des Mathias Nückles V
Abb. 2: Aufwändig
gestaltet: das
Tagebuch von
Mathias Nückles
offenbar sehr groß, und die Hoffnung auf ein schnelles und
glimpfliches Kriegsende schien nach der Oktoberrevolution
1917 in Russland und dem im Dezember geschlossenen Waffenstillstand
zwischen den Mittelmächten und dem entstehenden
Sowjetrussland in greifbare Nähe gerückt. Am 4. Januar
1918 notierte Nückles: „Heute, am 45. Geburtstage meiner
Frau, beginnen in der russischen Festung Brest-Litowsk die
Friedensverhandlungen. [...] Diesmal hat die englische Diplomatie
versagt und die deutsche triumphiert/'4 Nückles, der die
zeittypischen Ressentiments gegenüber den Entente-Mächten,
vor allem gegenüber Frankreich und England, hegte, war überzeugt
, dass die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn,
das Osmanische Reich und Bulgarien) Russland die Friedensbedingungen
aufzwingen könnten und anschließend die verbliebenen
Alliierten quasi im Handstreich zu besiegen wären:
„Nun, ich hatte [...] Vertrauen zu unserer obersten Heeresleitung
und habe es nun auch zu unseren verantwortlichen
Staatsmännern, die werden die Sache schon in's Reine bringen
/' Doch am nächsten Tag schon stellte er fest, „daß die
Russen an uns unannehmbare Forderungen stellen". Tatsächlich
konterkarierte Leo Trotzki, der Leiter der sowjetischen
Delegation, mit seiner hinhaltenden Taktik die Verhandlungen
ganz bewusst, weil er mit einer baldigen Revolution in Deutschland
rechnete, wodurch die Verhandlungsbedingungen natürlich
deutlich verändert worden wären.5
In heute unvorstellbarer Arroganz fertigte Nückles wenige
Tage später, am 11. Januar, das drei Tage zuvor vom amerikanischen
Präsidenten Woodrow Wilson vorgestellte Vierzehn-
Punkte-Programm ab, das auf einen „Frieden ohne Sieg" zielte.
Wilson als überzeugter Pazifist hatte es lange verstanden, mit
seinem Neutralitätskurs die USA aus dem Krieg herauszuhalten.
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