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100 ute Scherb
ließen ihn in seiner Meinung jedoch umschwenken. Am
25. Oktober 1918 schrieb er in sein Tagebuch: „Die ;Straßburger
Post' bringt die Antwortnote Wilsons und, ich bin ganz baff, sie
spricht sich in bejahendem Sinne aus. Oh, das wäre ein Segen
für die ganze Welt! Gestern Abend brachten die Zeitungen noch
Artikel, daß die deutsche Note abgelehnt würde. Wenn es zum
Frieden käme, und daran zweifle ich nicht - man wäre wie neugeboren
! " Diese Friedenssehnsucht, die Nückles mit der Mehrheit
der Bevölkerung teilte, widersprach diametral den Vorstellungen
der deutschen Militärs. Ludendorff hatte am Vortag als
Reaktion auf Wilsons Note die darin geforderte Kapitulation
verweigert: „Sie ist der Beweis, daß der Vernichtungswille unserer
Feinde, der 1914 den Krieg entfesselte, unvermeidlich fortbesteht
. [...] Wilsons Antwort kann daher für unsere Soldaten nur
die Aufforderung sein, den Widerstand mit äußersten Kräften
fortzusetzen."18 Daraufhin entließ der Kaiser auf Drängen des
Reichskanzlers den General Ludendorff. Natürlich erreichte
diese „unerhörte" Nachricht auch Nückles, der fassungslos notierte
: „Auf der Post höre ich, daß Ludendorff von seinem Posten
scheidet. Es ist ungeheuer, jeden Tag neue Überraschungen
!" Schuld an der aussichtslosen Lage waren nach seiner
Überzeugung jedoch nicht die verantwortungslos agierenden
Militärs, sondern: „Das alte Österreich bricht auseinander wie
ein mürber Topf. Tschechen, Ungarn, Kroaten, Italiener, alle
wollen eigene Staaten bilden. Da haben die Politiker s. Zt. einen
schönen Streich geliefert, sich mit einem solchen Gesindel zu
verbinden!"
Die Kehler „Heimatfront"
Wie aber kam es, dass sich Nückles so lange nicht an den Gedanken
gewöhnen konnte, dass der Krieg verloren war? Es ist
davon auszugehen, dass die Kriegspropaganda, die stets mit
vernichtenden, oft rassistischen Stereotypen arbeitete, wenn es
um die Darstellung „des Feindes" ging, durchaus ihre Erfolge
zeitigte. Hinzu kam der Umstand, dass Nückles keine Söhne im
wehrfähigen Alter hatte und somit keine persönlichen Ängste
ausstehen musste. Aber er dachte an seine drei im Kindesalter
gestorbenen Söhne und man meint gar, eine gewisse Erleichterung
herauszuhören, weil sie nun nicht in den Krieg ziehen
mussten: „Da hätte ich jetzt auch einen dabei, wenn er nicht in
früher Jugend gestorben wäre, und die Sorgen wären noch
schwerer. Wie gut ist's für meine 3 Jungen, daß sie gestorben
sind, sie haben's besser wie wir alle. Der Älteste hätte schon
letztes Jahr fortgemußt, wer weiß, ob er noch am Leben wäre."
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