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Uber sein Leben schrieb er später: „Als Student und als
Chefredakteur des Stuttgarter Beobachters und als Agitator der
Demokratie habe ich getrunken - nur Wein, manchmal aber
bis zu einem Liter am Tage. Erbliche Belastung, denn drei meiner
Großväter, Urgroßväter waren Wirte. Seit meiner Reise in
Afrika hörte ich völlig auf zu trinken und seit 1906 bin ich abstinent
. [...] Am 28.3.1915 trat ich in den Geheimdienst des
Großen Generalstabs, des Reichskanzleramtes und des Reichs-
schatzamtes." Geheimagent des Kaiserreiches? Mag man es
glauben, zumal entsprechende Belege fehlen?
Zur Vermeidung einer Strafverfolgung wegen Beleidigung
Kaiser Wilhelms IL war Lipp später in die Schweiz, dann nach
Italien geflüchtet, in Mailand wurde er Mitarbeiter am „Cor-
riere della Serra". Wegen Geisteskrankheit war er zeitweise in
einer Anstalt, wie er selbst freimütig 1919 seinem Gutachter Dr.
Kolb (Abb. 2) berichtete. Nach dem Kriegseintritt Italiens 1915
übersiedelte er in die Schweiz, wo er Teilnehmer an der Konferenz
von Zimmerwald9 gewesen sein soll, bei der auch Lenin
und Trotzki waren. Allerdings fehlt Lipps Name auf jener Teilnehmerliste
. 1917 kehrte er nach Deutschland zurück und war
seit 1918 als Privatgelehrter in München tätig.10
Hier hatte unterdessen die revolutionäre Nachkriegszeit begonnen
. Am 7. April 1919 wurde vom Zentralrat der bayerischen
Republik unter Ernst Niekisch und dem Revolutionären
Arbeiterrat (RAR) in München die bayerische Räterepublik
ausgerufen. Der bis dahin amtierende SPD-Ministerpräsident
Hoffmann wurde für abgesetzt erklärt und wich mit seinem
Kabinett nach Bamberg aus.
Erich Mühsam schrieb über die revolutionäre Regierungsbildung
: „Die Wahl der Volksbeauftragten war überaus schwierig,
und nur die Betonung des provisorischen Charakters aller vorläufigen
Maßnahmen ließ die Verlegenheits-Improvisation erträglich
erscheinen. Für die auswärtige Politik wurde wieder
Mühion vorgeschlagen. Ich erreichte durch den Hinweis darauf
, daß dieser Posten von einem Mann besetzt werden müsse,
der unbedingtes Vertrauen in Rußland und Ungarn besitze,
seine Ablehnung. Darauf empfahl der Revolutionäre Arbeiterrat
mich. Es wurde die Befürchtung ausgesprochen, daß ich
eine zu aggressive Politik gegen das Ebertsche Deutsche Reich
treiben würde, und da ich die größte Rücksichtslosigkeit gegen
diese Bourgeoisie-Republik noch ausdrücklich empfahl und für
den Fall meiner Wahl versprach, fiel auch ich durch. Darauf
präsentierte die USPD aus ihren Reihen einen Genossen Dr.
Lipp, der außer seinen Parteigenossen fast niemand bekannt
war. Da seine außerordentliche Bewandertheit in der interna-
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