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Christian Würtz
ter; sondern auch ein angesehener und geschätzter Politiker,
dem das Potenzial für größere Aufgaben zugetraut wurde. Er
galt nun als ein Mann mit außerordentlichen Fähigkeiten zum
Ausgleich und mit großer Integrationskraft, der sich aufgrund
seiner raschen Auffassungsgabe schnell auf besondere Umstände
einstellen kann.28
An der Spitze des Reichstags
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 schloss sich
Fehrenbach der allgemeinen Kriegsbegeisterung an und hoffte
auf großräumige Gebietsgewinne nach einem kurzen Krieg.29
Dieser Enthusiasmus wich in den folgenden Jahren jedoch einer
immer größeren Ernüchterung. Als die Kriegslage im Sommer
1917 für Deutschland zusehends ungünstiger wurde und sich
Kriegsmüdigkeit im Volk breitmachte, forderte der Zentrumspolitiker
Matthias Erzberger statt der Annexion anderer Länder
einen „Frieden der Verständigung und der dauernden Aussöhnung
der Völker". Ein solcher Friede sei unvereinbar mit „erzwungenen
Gebietsabtretungen und politischen, wirtschaftlichen
oder finanziellen Vergewaltigungen". Fehrenbach schloss
sich der Forderung Erzbergers an. Er vollzog hier einen radikalen
Kurswechsel. Es gelang ihm zudem, auch die Zentrumsfraktion
von dessen Richtigkeit zu überzeugen. Als der Reichstag die Friedensresolution
verabschiedete, wurde sie neben dem Zentrum
auch von den Mehrheitssozialdemokraten und der linksliberalen
Fortschrittlichen Volkspartei mitgetragen, die von nun an
als „Mehrheitsparteien" im Reichstag galten.
Nun begann eine steile Karriere für Fehrenbach. Im August
1917 wurde er auf Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Friedrich
Ebert Vorsitzender des Hauptausschusses des Reichstags. Dieser
Ausschuss war aus der Budgetkommission hervorgegangen und
trat auch während der kriegsbedingten Vertagung des Plenums
zusammen, um bei Fragen der Außenpolitik und der Kriegsführung
mitzuberaten, was ihm eine herausgehobene Stellung
verlieh. Mit Ebert, der in Heidelberg geboren und aufgewachsen
war, verstand sich Fehrenbach übrigens über die Parteigrenzen
hinweg sehr gut, was nicht zuletzt an der gemeinsamen
Herkunft aus Baden lag.30
Daneben wurde Fehrenbach Mitglied im sogenannten Interfraktionellen
Ausschuss, in dem sich Vertreter der Mehrheitsparteien
trafen, um die Politik im kleinen Kreise zu beraten
und die Beschlüsse des Hauptausschusses wie des Reichstags
vorzubereiten und insbesondere die Parlamentarisierung der
Politik voranzutreiben. Fehrenbach leitete von November 1917
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