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Christian Würtz
nach Ausgleich waren nur die andere Seite fehlender Führungsqualitäten
und eines mangelnden festen politischen
Willens. Seine Fähigkeit zur Vermittlung reichte zwar aus, die
individuell persönlichen Differenzen zwischen den Mitgliedern
des Kabinetts auszuräumen, sie versagte jedoch bei prinzipiellen
politischen Gegensätzen, die, aus den Parteien kommend
, im Kabinett aufeinanderprallten. Von ihm ging keine
politische Initiative aus, und nur zu bereitwillig unterwarf er
sich dem Gang der Ereignisse, wie er sich ihm selbst stellte.
Hinzu traten gewisse altersbedingte Schwächen wie mangelnde
Konzentrationsfähigkeit und schnelle Ermüdung, die
die Zusammenarbeit mit ihm im Kabinett zeitweilig recht
mühevoll machten/'50
Die Aufgaben, die vor der neuen Regierung lagen, waren
wahre Herkulesaufgaben, vor allem wenn man bedenkt, dass
die Regierung angesichts der außen- wie innenpolitischen,
wirtschaftlichen und finanziellen Lage nur einen minimalen
Handlungsspielraum hatte.51 Vor allem mussten die extrem
belastenden Bedingungen des Versailler Vertrages erfüllt und
sich um „Friede und Wiederaufrichtung von Handel und Verkehr
mit allen Kulturvölkern" bemüht werden. Im Innern galt
die vordringlichste Sorge dem „Wiederaufbau des zusammengebrochenen
Vaterlandes," wobei sich dieser „auf alle Gebiete
der Volkswirtschaft und Kultur" erstrecken sollte. Gemäß der
Verfassung musste das Staatswesen in vielen Bereichen neu
ausgestaltet werden. Dies galt besonders für den Bildungsbereich
, die „Beziehungen zwischen Staat und Kirche, die Ausgestaltung
des Rechts der Beamten" sowie für „die Einsetzung
höchster Gerichte als Hüter der Verfassung und der Grundrechte
der Deutschen." Die Reichswehr war umzustrukturieren
und nach dem Versailler Vertrag auf 100000 Mann zu
reduzieren. In Teilen West- und Ostpreußens sowie in Oberschlesien
standen Abstimmungen über den Verbleib beim
Deutschen Reich vor der Tür. Angesichts der sich rapide verschlechternden
Finanzsituation und der damit einhergehenden
Geldentwertung mussten die Finanzen saniert werden.
Die Ernährungslage der Bevölkerung war weiterhin besorgniserregend
. Fehrenbach schloss seine Regierungserklärung mit
den Worten: „Wir wollen sein eine Regierung der Versöhnung
, des Ausgleichs der Gegensätze, des Aufrufs an die ganze
Nation zur tatkräftigen Mitarbeit an der Wiederaufrichtung
des zusammengebrochenen Vaterlandes. Nötiger als eine
starke Faust scheint uns jetzt jene ehrlich dargebotene Hand
zu sein, in die alle Wohlmeinenden einschlagen können. Es
ist die Hand, welche die Schwielen unverdrossener Arbeit auf-
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