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Constantin Fehrenbach, ein Reichskanzler mit Ortenauer Wurzeln
doch sei nicht zu verkennen, dass viele nicht eine Erfüllung
ihrer hochgespannten Erwartungen gefunden hätten. Man
habe die Schwierigkeiten des Kabinetts zu gering geschätzt/'
Diesem sei zu wenig Unterstützung zuteil geworden. Nun
wollte er sich wieder seinen Aufgaben als Abgeordneter und in
der Fraktion widmen, doch nicht mehr an führender Position,
sondern nur als Beobachter.55
Wie groß das Ansehen Fehrenbachs war, das er sich nicht
nur in den eigenen Reihen erworben hatte, zeigt sich beispielhaft
an den Memoiren des britischen Botschafters in Berlin
Edgar Vincent d'Abernon. Er hielt Fehrenbach für einen
„unbedingt ehrlichen alten Mann, der in jedem ernsten Notfalle
den ganzen Einfluß, den er besitzt, einsetzen wird, um
den richtigen Ausweg zu rinden. Ich für meinen Teil habe
immer, sooft ich zu ihm komme, das Gefühl, als wäre ich der
verlorene Sohn, der in die segnenden Arme seines Vaters zurückkehrt
, - so gütig, wohlwollend und väterlich wirkt er auf
mich/'56
Politische Aktivitäten bis ans Lebensende
Doch der Wunsch Fehrenbachs, nun weniger Verantwortung
tragen zu müssen, ging nicht in Erfüllung. Fehrenbach blieb
ein wichtiger Akteur der Weimarer Republik und im Zentrum.
So wurde er im Januar 1922 erneut in den Vorstand der Partei
gewählt. Im selben Jahr wurde er zudem Mitglied des neu geschaffenen
Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik, der
nach der Ermordung Walter Rathenaus auf Betreiben des
Reichsjustizministers Gustav Radbruch errichtet worden war.
Und schließlich wählte ihn die Zentrumsfraktion des Reichstags
Ende 1923 zu ihrem Vorsitzenden, nachdem der bisherige
Vorsitzende Wilhelm Marx zum Reichskanzler berufen worden
war. Hier war angesichts innerparteilicher Spannungen
nochmals das ganze vermittelnde Geschick Fehrenbachs gefragt
. Diese Spätphase seines politischen Wirkens wurde sogar
von manchem als die bedeutungsvollste angesehen: „Ohne
ihn hätte die als Begründerin so manchen wichtigen innen-
und außenpolitischen Werkes damals unentbehrliche Koalition
[des Zentrums] mit den Deutschnationalen nicht so
lange gelebt. Gerade als Fraktionsführer - Beweis, daß dieser
große Einfluß durchaus zum Guten angewendet werden kann
- hat er viel für Festigung der Stellung des Kabinetts Luthers57
getan. Denkwürdig bleibt sein offenes Auftreten im Plenum
gegen Dr. Wirth, auch rethorisch [!] als Improvisation von
starkem Eindruck, als es galt, eine unzweckmäßige Ausspra-
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