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Das Schutterner Mosaik vor dem Hintergrund der Klosterreformen des frühen 12. Jahrhunderts 219
Mittelalter bis zur Liturgiereform 1962 einmal im Jahr in jeder
katholischen Kirche, nur eben nicht im Plural (voci nostre), sondern
im Singular (voci meae). Sie steht im zweiten Offertorium
des auf den 9. August fallenden Festes Vigilia Sancti Laurentii
- oder, verständlicher ausgedrückt: im „Gesang zur Gabenbereitung
" in der Vorabendmesse zum Laurentiusfest. Der vollständige
Text lautet auf lateinisch und deutsch:
Oratio mea munda est,
et ideo peto,
ut detur locus voci meae in caelo.
Quia ibi est iudex meus,
et conscius meus in excelsis.
Ascendat ad Dominum deprecatio mea
Mein Gebet ist rein,
und daher bitte ich,
dass meiner Stimme im Himmel ein Ort gegeben
werde [wo sie Gehör finde].
Denn dort ist mein Richter,
und mein Vertrauter in den Höhen.
Mein Flehen steige auf zum Herrn.9
Dass die Herkunft der Mosaikpartie aus dem Missale Romanum
(Römischen Messbuch)10 nicht auffiel, erklärt sich aus der Seltenheit
der Passage. Üblicherweise werden die an jedem Festoder
Sonntag anders zusammengesetzten Messgebete und -ge-
sänge der Bibel entnommen. So verhält es sich auch bei den
übrigen Texten in der Abendmesse am Vortag des Laurentiusfestes
: Sie stammen aus dem Psalmen und aus dem Matthäusevangelium
, verteilt auf die folgenden, praktizierenden
Katholik/-innen und Chorsänger/-innen vertrauten Partien:
Introitus
(Eingangslied)
Graduale
(Stufengebet)
Offertorium
(Gesang zur
Gabenbereitung) 1
Offertorium
(Gesang zur
Gabenbereitung) 2
Communio
(Kommuniongesang)
Dispersit deditpauperibus ...
[Er verteilte (alles und) gab es den Armen ...]
Dispersit dedit pauperibus ... [s.o.]
Gloria et honore coronasti cum ...
[Mit Ruhm und Ehre hast du ihn gekrönt...]
Oratio mea munda est...
[Mein Gebet ist rein ...]
Psalm 111,9+1
Psalm 111,9+1
Psalm 8, 6+7+2
{Anklang an
Job 16,20}
Qui vult venire post me abneget... Math. 6,24
[Wer mir nachfolgen will, verleugne (sich selbst) ...]
Als Herkunftstext für das zweite, uns hier speziell interessierende
Offertorium wird in den Drucken des Missale immer
ohne weiteren Kommentar Job 16,20 oder auch Job 16,18-20
angegeben. Dabei weichen dieser Bibeltext und der Offertori-
umstext in Sinn und Wortlaut stark voneinander ab; die 37
Wörter in Job 16,18-20 haben mit den 24 Wörtern im Offertorium
nur die sechs letzten gemeinsam (... et conscius meus in
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