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Das Schutterner Mosaik vor dem Hintergrund der Klosterreformen des frühen 12. Jahrhunderts
weist dabei auf das einst von ihm erlittene Martyrium. Die
letzten 16 der 50 Gedichtzeilen integrieren unverkennbar (im
Folgenden rot hervorgehobene) Phrasen aus dem Laurentius-
offertorium. Der Dichter konnte offenbar voraussetzen, dass
seine Leser die Versatzstücke identifizieren und sie auf Laurentius
beziehen würden.
Gedicht Ruperts von Deutz
[...] Memento, qui iudex meus
Et testis es et conscius, [...]
Ob hoc munda precor prece:
Detur locus voci mee!
lam res iacentes releva,
Causam meam iam iudica V
Tum Dominus, qui simplicis
Respexit Abel hostiam,
Respexit ad Laurentium,
Qui concrematus ignibus
Odor suavitatis est,
Ex viva factus hostia.
[...]
Und Gott, dem einst der Opferbrand
des schlichten Abel angenehm,
blickt gnädig auf Laurentius,
der, als die Flammen ihn verzehrt,
mit süßem Wohlgeruche ward
vom Lebenden zum Opferbrand.
Laurentius-Offertorium
Oratio mea munda est,
et ideo peto,
ut detur locus voci mee in
caelo,
quia ibi est iudex meus,
et conscius meus in excelsis,
ascendat ad Dominum
deprecatio mea.
Am frappierendsten allerdings ist die Schlusswendung des
Gedichts: hier taucht neben Laurentius und dem locus voci unvermittelt
auch Abel auf - genauso wie auf dem Rand des Schutterner
Mosaiks. Der Vergleichspunkt zwischen Abel und Laurentius
ist für Rupert von Deutz das Brandopfer: Wenn Gott schon
das Tieropfer des Abel so angenehm war, dass er ihn deshalb
„gnädig anblickte" wie sollte er dann den für Ruperts Kloster
bittenden Laurentius ignorieren, der doch selbst als ungleich
höherwertiges Opfer auf dem glühenden Rost gestorben war?
Oder, um es kurz auf den Punkt zu bringen: Abel starb letztendlich
wegen eines Brandopfers, Laurentius jedoch als Brandopfer.
Die Motivkette, die der junge Rupert hier anschlug, begleitete
ihn durch sein Leben. Er wurde berühmt; die Nachwelt
kennt ihn als einen der produktivsten und meistrezipierten
Bibel- und Literaturkommentatoren des 12. Jahrhunderts.
Nachdem er 1120 Abt des gegenüber Köln am linken Rheinufer
gelegenen Heribertklosters in Deutz geworden war, errichtete
er dort Laurentius, dem Klosterpatron seiner Jugend, ein Spital
und musste erleben, dass ein genau von diesem Gebäude ausgehender
gewaltiger Brand im August 1128 große Teile des Ortes
in Schutt und Asche legte. Ruperts meditative Bewältigungsschrift
über den „Brand von Deutz" ist sein letztes vollendetes
Werk, fünf Monate darauf, im März 1129, starb er. Die Schlusspassage
ist als Dialog mit dem heiligen Laurentius gestaltet, der
auch hier wieder mit dem „ersten Märtyrer" Abel verglichen
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