http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2018/0259
OCQ Eugen Hillenbrand
Abb. 1: Beginn der
Vita Gertruds von
Ortenberg. Brüssel.
Kpl. Ms 8507-09,
15. Jh., fol. 133r
/T^V4 )t^mC ^J*- UO pi gtrkvt-
Gerdrut genant Diese ausführliche Lebensbeschreibung der
Gertrud von Ortenberg wurde bald nach deren Tode 1335 ver-
fasst, wohl von einer Mitschwester ihrer Gemeinschaft. Das
Haus, in dem sie zusammenlebten, lag in der Nähe des Franziskanerklosters
. Es wird in der Vita häufig erwähnt. Hier hatte
Gertrud als Witwe nach ihrer Flucht aus den familiären Bindungen
1304/5 Unterkunft bei einer armen Schwester gefunden
und Beginenkleidung angelegt. Ein schwarzer Mantel aus
grobem Leinen sollte ihre Entscheidung zu einem neuen Lebensentwurf
auch den Mitmenschen vermitteln. Es war eine
kühne Entscheidung, die diese etwa fünfundzwanzig]'ährige
Frau gegen ihre niederadlige Familie getroffen hat.
Welche Lebensform hatte sie gewählt? Sie wollte arme Schwester
sein. Das war der offizielle Name derjenigen Frauen, die ein
religiöses Leben führten, ohne sich einem Orden im strengen
Sinne anzuschließen, ohne feste Regel und Gelübde. Sie wollte
nicht in einem von der Welt abgeschlossenen Kloster leben,
sondern in der Welt tätig sein und ihren Unterhalt durch Einkünfte
aus dem ererbten Besitz und durch eigene Arbeit bestreiten
, sei es im Hause mit Textiltätigkeiten oder in der Stadt mit
Krankenpflege und Totendienst. Schon die Zeitgenossen hatten
für diese neue gesellschaftliche Gruppe nur den „artifiziellen
Sammelbegriff Beginen" gefunden.8 Die Herkunft des Namens
ist bis heute umstritten, ebenso die genaue Stellung dieser Gemeinschaft
gleichgesinnter Frauen innerhalb der kirchlichen
Ordnung. Ihr Projekt war das einzige von Frauen für Frauen
geschaffene Modell vor der Moderne, das sich in der mittelalterlichen
Gesellschaft durchsetzen konnte. Es gründete im Ideal
der freiwilligen Armut und des Daseins für andere in der Welt.
Wie konnte Gertrud ihre Utopie einer bisher nicht erprobten
weiblichen Gemeinschaft in der kleinen Reichsstadt Offenburg
realisieren? Wie die spätere Biografin berichtet, wurde ihr
Haus rasch zu einem Anziehungspunkt für alleinstehende
Frauen der Stadt: Sie nam arme swestern in ir hus, dz sü in gütlich
möhte getuon, und hette ir etlich jor und tag bi ir. Auch Heilke von
Staufenberg floh von der Burg bei Durbach zu ihr und blieb
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2018/0259