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Weibliche Wohngemeinschaften im spätmittelalterlichen Offenburg
densgründer als Wegbereiter zur gemäßigten Armutsauffassung
darstellte. Eine päpstliche Konstitution von 1279 suchte einen
Ausweg durch die Unterscheidung von Eigentum und Nießbrauch
bei gleichzeitiger Pflicht zu mäßigem Gebrauch der
Güter.13 Die strengere Richtung der Bettelbrüder sah darin
gleichwohl einen Verrat am Ideal ihres Gründers. Sie ging sogar
noch einen Schritt weiter: Nicht erst Franziskus war ihr Gewährsmann
, schon Christus und seine Apostel lebten in absoluter
Besitzlosigkeit.
Just in der Zeit, als Gertrud und Heilke ihre Haltung zum
franziskanischen Ideal noch einmal klären wollten, definierte
das Generalkapitel des Ordens, das 1322 in Peruggia tagte, un-
missverständlich: „Es ist gesunde, katholische und rechtgläubige
Lehre, dass Christus und die Apostel nichts zu eigen besessen
haben." Diese Aussage wiederum erklärte Papst Johannes
XXII. im darauf folgenden Jahr für häretisch.
Gertruds Reaktion war nach dem Zeugnis ihrer Chronistin
eindeutig, zumal ihr Beichtvater Heinrich von Talheim auf
dem Generalkapitel von Peruggia einer der maßgeblichen
Wortführer der strengen Richtung war.14 Ihm vertraute Gertrud
rückhaltlos., denn: Sil hette ein hitzige begerung der armuot
und des eilendes. Und: Der Herr wollte sie haben in gantzer lidiger
armuot alles zitlichen guotes.15 Durch ihren Verzicht auf allen
Besitz wollte sie als Bettlerin unter den Armen leben, besitz-
und bedürfnislos. Die Gespräche zwischen den beiden Frauen
über Gertruds radikale Entscheidung müssen sehr grundsätzlich
und offen gewesen sein, sie spiegeln gewissermaßen die
unlösbaren Probleme franziskanischen Selbstverständnisses
wider. In diesen Jahren lebten Gertrud und Heilke noch in
Straßburg. Erst als ihr Haus 1327 einem verheerenden Stadtbrand
zum Opfer fiel, zogen sie wieder in ihre Heimatstadt zurück
, wenn auch nicht in das Haus, in dem sie früher lebten
und das ein Jahr zuvor durch die oben behandelten Stiftungen
unterstützt worden war.
Sie fanden, wohl nach langem Zögern Gertruds, endlich
eine Unterkunft in einem hüslin, das an dem allerbesten und
heimlichsten ende der stat lag, wie Gertruds Biografin andeutungsweise
beschreibt. Aber davon erfahren wir in der Vita
überhaupt nichts mehr. Nur ein Gedenkstein auf dem Klosterfriedhof
der Franziskaner erinnerte noch an ihr Todesjahr 1335
- auch er inzwischen längst weggeräumt, vermutlich nach dem
Stadtbrand von 1689. Aber im dritten Februarband der Acta
Sanctorum von 1668 hielt der damalige Mitarbeiter Johannes
Gamans (1606-1684) das genaue Sterbedatum fest: Anno
MCCCXXXV, VII Kalendas Martii, 23. Februar 1335).
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