http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2018/0361
360
Heinz G. Huber
nicht mehr zu unterdrücken war". Der preußische Schriftsteller
Ludwig Walesrode konnte sich bei einer Reise im Renchtal
von den Eindrücken, die das Verfassungsfest bei der Bevölkerung
hinterlassen hatte, persönlich überzeugen. Als es sich
herumgesprochen hatte, dass er ein Freund „Vater Itzsteins"
sei, wurde er an jedem Ort „auf's fürstliche" bewirtet. Er bewunderte
den Grad der politischen Aufgeklärtheit der Renchtä-
ler Bevölkerung: „Ich war erstaunt darüber, wie die anwesenden
Landleute öffentlich auftraten und aus dem Stehgreif
politische Reden hielten, wie sie so tüchtig leider von keinem
unserer Königsberger Landtags-Delegierten gehalten worden
sind. Diese politische Bildung ist lediglich das Werk der entschiedenen
offenen Opposition der Badener Deputierten/'91
Die Jubelfeiern für die Verfassung machten auch den Kontrast
zur Verfassungswirklichkeit deutlich, die Kritik artikulierte
sich in Wirtshäusern und Festen und führte zu Adressen und
halblegalen Vereinsbildungen.
Die Verfassungsfeiern von 1843 erschütterten auch die
Machtstellung Blittersdorffs. „Alle die Hochrufe auf die geliebte
Verfassung klangen wie ein drohendes Schlachtgeschrei
gegen Blittersdorff",92 das Verfassungsfest war „zu einer imposanten
Demonstration gegen das herrschende Regiment" geworden
.93 In der Bevölkerung zirkulierten bereits Adressen für
den Rücktritt Blittersdorffs. Die politischen „Mäzene" des Außenministers
in Wien und Berlin waren unzufrieden, sie waren
aber nicht bereit, Blittersdorff für einen harten Kurs Rückendeckung
zu gewähren. Blittersdorff bot dem Großherzog seinen
Rücktritt an. Zugleich bot er an zu bleiben, wenn ihm zur Unterstützung
der Regierungspolitik der gesinnungsverwandte
Legationsrat von Marschall an die Seite gestellt werde und die
anderen Minister in Konflikten mit der Kammer seiner Linie
folgten. Justizminister Jolly und Finanzminister Boeck lehnten
es ab, sich Blittersdorff zu unterwerfen.94
Die Verfassungsfeste 1844 und 1845 in Oberkirch
Die innenpolitische Lage in Baden hatte sich inzwischen etwas
entspannt, nachdem der am 23.11.1843 neu zusammengetretene
Landtag von der Regierung freundlich begrüßt wurde und
mit entgegenkommenden Vorlagen zu umfassenden Justizreformen
konstruktiv in die Gesetzgebung einbezogen wurde. Es
bildete sich wieder eine „Mitterpartei", gegen deren „Versöh-
nungsfieber" sich jedoch die Oppositionellen scharf abgrenzten
: Erstmals nahmen die Abgeordneten im Ständehaus ihre
Sitzplätze nach der Gesinnung ein. Durch Indiskretionen ge-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2018/0361