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76 Psychische Studien. I. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1874.)
vergangener Generationen — von Geschlechtern, welche
in einer totalen Unkenntniss ihrer Natur lebten. Wir
studiren die menschliche Natur in einem Beinhause und,
gleich den Nationen des Ostens, zollen wir göttliche Ehren
den Wahnsinnigen und Narren. Eine Reihe von Systemen
hat das Dasein vollends mystifizirt. Wir glauben, was
unsere Väter glaubten, weil sie ohne einen Grund davon
überzeugt waren."— Zwar wurden diese Worte nur in Beziehung
auf metaphysische Spekulationen geschrieben, aber
sie sind nichts desto weniger wunderbar anwendbar auf
fast alle Meinungen, welche von der Gesellschaft im Grossen
unterhalten werden. Die Menschheit im Allgemeinen kümmert
sich nicht viel um Forschung oder Denken, und es ist auch
gar nicht zu verwundern, dass sie dieses nicht thut, denn
Forschen verursacht Unruhe, und Denken ist ein mühsamer
Prozess. Es ist weit leichter, Jemandes Meinungen fertig
hinzunehmen, als sich dieselben durch Vernunft und Nachdenken
anzueignen. Die grosse Masse der Menschheit wird
daher wahrscheinlich immer der Mode in Angelegenheiten
des Urtheils, so wie in allen übrigen Dingen, folgen. „Eine
Unze Gewohnheit", sagt Hommel, „überwiegt eine Tonne
Vernunft". Ich glaube, es war Dr. Watt, welcher sagte,
dass, wenn Sie an ein Hundert Gläubige an das Christen-
thum die Frage stellen möchten, warum sie Christen seien,
es wahrscheinlich sein dürfte, dass nicht mehr als Einer
von diesen Ihnen einen anderen Grund dafür angeben
könnte, als weil er darin geboren und erzogen worden sei.
Wir haben die Gewohnheit, unsere Glaubensbekenntnisse
als einen Theil unseres uns von unseren Vorfahren überhändigten
Erbtheils zu übernehmen, und wir halten dieselben
für viel zu heilig, als dass sie auf irgend eine Weise durch
eine Meinungs - Veränderung verstümmelt werden dürften.
Derjenige, welcher ein orthodoxer Christ in England
ist, würde in gar vielen Fällen, wenn er von einem
(Die Lungen in Gesundheit und Krankheit), von „The Generation
of Animal Beat*' (Die Erzeugung animalischer Wärme), von „TheAnti-
quity of the Human Kace" (Das Alter des Menschengeschlechts), von
„Physiology of the Five Senses" (Die Physiologie der fünf Sinne),
von „Lectures on Physiology" (Vorlesungen über Physiologie), von
„Concessions of Theology to Science" (Zugeständnisse der Theologie
an die Wissenschaft), u. s. w. — Dr. Sexton ist während seines ganzen
Lebens einer der thätigsten Pionniere des englischen Sekularismus
(Positivismus) gewesen; er war bis zur jüngsten Zeit der ergebene
Anhänger des radikalsten Haupt-Repräsentanten desselben, Charles
Bradlaugh, und ein fleissiger Mitarbeiter seines Journals'„The National
Reformer." Er wurde am 24. März 1825 in Norfolk geboren.
Anmerk, der Redaction,
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