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82 Psychische Studien. I. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1874)
welche früher in der einen oder anderen Gestalt den Geist
beschäftigt haben. Sie sind alte Vorstellungen, welche entweder
in ihrer Ganzheit, oder mit einander verschiedenartig
vermischt wieder auflebten. Ich zweifle, ob es für eine
Person möglich sei, in einem Traume eine Vorstellung zu
haben, deren Elemente nicht schon in irgend einer Form ihn
meiner früheren Periode berührten. Wenn diese von ihrer
verbindenden Kette losbrechen und mit einander unzusammenhängend
vermischt werden, wie dies oft der Fall
ist, so geben sie absurden Combinationen Entstehung; aber
die Elemente werden dennoch bestehen und sich nur in
einer neuen und unverknüpften Gestalt offenbaren." Nun,
ist dieses stets der Fall? Jedermann weiss, dass dies nicht
so ist. Träume kommen häufig vor, welche keineswegs aus
Elementen gebildet sind, die durch die Sinne im wachenden
Zustande in unseren Geist eingetreten sind. Ein von Dr.
Macnish selbst angegebener Fall widerspricht direct seiner
eigenen Theorie. „Die folgenden Ereignisse*', bemerkt er,
„widerfuhren mir selbst im August 1821. Ich war 4amals
in Caithness, wo ich träumte, dass ein naher Verwandter
von mir, welcher 300 Meilen entfernt wohnte, plötzlich gestorben
war; und unmittelbar darauf erwachte ich meinem
Zustande unbegreiflichen Schreckens, ähnlich demjenigen,
welcher durch einen Anfall von Alpdrücken hervorgebracht
wird. An demselben Tage schrieb ich zufällig in die Heimath
und erwähnte dieses Umstandes m einer halb scherzenden,
halb ernsthaften "Weise. Um die Wahrheit zu gestehen,
war ich in Furcht, die Sache ernsthaft zu behandeln, damit
man mich nicht auslache, als ob ich an Träume glaubte.
Jedoch verharrte ich in der Zwischenzeit des Abgangs
meines Schreibens und des Wiederempfanges der Antwort
in einer höchst unangenehmen Spannung. Ich hatte eine
Vorempfindung, dass etwas Schreckliches sich ereignet hätte
oder sich ereignen würde; und obgleich ich nicht umhin
konnte, mich selbst wegen meiner kindischen Schwäche, dass
ich also fühlte, zu tadeln, war ich nicht im Stande, mich von
der peinlichen Vorstellung zu befreien, welche so tiefe
Wurzeln in meinem Geiste gefasst hatte. Drei Tage nach
Absendung meines Briefes erhielt ich zu meinem Erstaunen
ein Schreiben, nur um einen Tag später als das meine
datirt, welches mir die Mittheilung brachte, dass der Verwandte
, von dem ich geträumt hatte, von einem verhängnissvollen
Schlaganfall den Tag zuvor getroffen worden war
— nämlich an dem Morgen desselben Tages, an welchem
ich die Erscheinung im Traum gehabt hatte. Meine Freunde
erhielten erst meinen Brief zwei Tage nach Absendung ihres
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