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Dr. Perty: Fernwirkung eines Sterbenden ete. 125
beugung beendigt und sich wieder aufgerichtet hatte, stand
er regungslos, wie auf etwas wartend; mein Zustand aber
hatte sich in nichts verändert, und als ich zum zweiten Mal
in Gedanken wünschte, das Gebet zu der heiligen Mutter
Gottes zu sprechen, da fing er wieder an, eben so laut und
deutlich auch dieses zu sagen, und so auch noch ein drittes,
von mir in Gedanken gewünschtes Gebet. Zwischen den
beiden letzten Gebeten gab es eine Pause, wo das Hersagen
aufhörte, und die so lange währte, als die wieder
aufgestandene Amme das Kind stillte, wickelte und wieder
einschläferte. Während des Hersagens hörte ich deutlich
jeden Schlag der Uhr, was jenes nicht störte, und wie schon
bemerkt, jede Bewegung der Amme und des Kindes, das
ich leidenschaftlich in meine Nähe wünschte, um von ihm
Abschied nu nehmen und es zu segnen vor dem von mir
erwarteten Tode; es kam kein anderer Wunsch in meinen
Sinn, doch auch dieser sollte nicht erfüllt werden.
Die Uhr schlug Drei. Da erinnerte ich mich plötzlich,
dass noch keine sechs Wochen seit dem heil. Osterfeste
verflossen seien und dass noch in allen Kirchen nach unserem
Situs der Ostervers „Christ ist erstanden" gesungen wird,
und fühlte ein heisses Verlangen, diesen zu hören! Wie als
Antwort darauf ertönten auf einmal aus weiter Ferne die
göttlichen Klänge des heil. Liedes, ausgeführt von einem
zahlreichen Chor in unermesslicher Höhe; die Laute kamen
immer näher und näher, wurden immer voller und heller,
und ich vernahm eine nie gehörte, überirdische Harmonie,
so dass mir der Athem vor Entzücken stockte, die Furcht
vor dem Tode wich und ich glücklich wurde in der Hoffnung,
dass diese Laute mich ganz in sich schlingen und in den
unendlichen Raum fortführen würden. Im Uhorgesang hörte
und unterschied ich deutlich die Worte des heil. Liedes,
die auch von dem vor mir Stehenden nachgesprochen wurden.
— Plötzlich wurde das ganze Zimmer von einem mir bis
dahin ganz unbekannten strahlenden Lichte Übergossen,
welches so stark war, dass ich geblendet nichts mehr unterscheiden
konnte, weder die Flamme der Nachtlampe, noch
die Zimmerwände, selbst nicht die Erscheinung. Dieses
Licht brannte einige Sekunden, und während dieser erreichten
die Laute die höchste, betäubendste, unbegreiflichste
Kraft! Hierauf wurde die Helle weniger blendend, und ich
vermochte wieder die vor mir stehende Figur zu unterscheiden
, aber nicht mehr nach ihrer ganzen Ausdehnung,
sondern nur vom Kopfe bis zum Gürtel, — und noch
wunderbarer war, dass die Umrisse der vor mir stehenden
Gestalt immer weniger deutlich wurden, sie sich gleichsam
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