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134 Psychische Studien. I. Jahrg. 3. Heft. (März 1874.)
erst seit heute und gestern, unter einem grossen Theile der
gebildeten Welt in den Credit gesetzt, dem Materialismus
gegenüber die einzig mögliehen zu sein. Sie haben auch
in die Theologie der neueren Zeit vielfach Eingang gewonnen
und nicht wenig dazu beigetragen, derselben den Charakter
zu ertheilen, welcher sich in dem erst der neueren Ent-
wickelungsperiode der Wissenschaft angehörenden Gegensätze
des Rationalismus und des Supranaturalismus kundgibt
. Nichtsdestoweniger ist und bleibt es wahr, dass, wer
mit einer oder der andern dieser Theorien an die Schriftlehre
herantritt, nur durch gewaltsame Unterstellungen den
Schein einer Uebereinstimmung mit ihr erkünsteln kann."*)
Dies weisst Weisse des Näheren nach und kommt zu dem
auch sonst von älteren Theologen und Philosophen behaupteten
Ergebniss, dass die Schriftlehre nicht (wie die
spätere Kirchenlehre) dem Oreatianismus, nicht demMona-
dologismus, sondern dem Traducianismus huldige. Baader
nennt die Monadologie flach, schon weil sie das Einfache
als in sich Unterschiedloses, also von Haus aus Unlebendiges,
Todtes nehme, wonach alles Leben nur Scheinleben, weil
äusserHche Zusammensetzung und Trennung und Wiederzusammensetzung
u. s. f. sein könnte. **) In demselben Sinne
hatte schon Oetinger, wie Weisse (II, 176) bemerkt, gesagt:
„Die Seele ist kein einfach Ding, sondern ein Rad Ezechiels,
ein tqoxoq yeviaecog. Sie wird aus Kräften von Gott nicht
componirt, sondern essentificirt, d. h. ad inexistentiam et
intensitatem gebracht, und durchdringt so als ein höchst
aktives Wesen alle Kammern des Leibes als eine Leuchte."***)
Die Monadologie ist daher so wenig haltbar als die Atomistik
, und die angegebenen Folgerungen des Verfassers
aus der ersteren sind hinfällig. Indem er selber eingesteht,
dass seine Monadologie die persönliche Unsterblichkeit
wissenschaftlich nicht erweisen könne, räumt er ein, dass
die Zurüstungen seiner Hypothesen zu keinem befriedigenden
Ergebniss führen können und dass sie als gescheitert zu
betrachten sind. So verräth sich die realistische Wurzel
seines PhilosophirenB, welche Weisse mit tiefem Blick schon
in der Lehre des Vaters der neueren monadologischen
Systeme entdeckt, und die derselbe durch Andichtung
geistiger Wesenheit etc. nur verdeckt hatte. Zum Ueberfluss
erklärt er den Begriff vom freien Willen für abenteuerlich
und stellt einen durchgreifenden, allumfassenden Deter-
*) Ebendaselbst II, 173-174.
**) Vergl. die bezüglichen Bestimmungen in Baaders Werken
XVI, 295 und 335.
***) Auberlen, Oetmger's Theosophie, S. 211.
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