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294 Psychische Studien. I. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1874.)
denen man mit grosser Ungeduld entgegensieht. T)a ich
zur Beiwolmung dieser wichtigen Experimente eingeladen
worden hin, so hin ich mir und meinen wissenschaftlichen
Collegen hei dieser Untersuchung die ausdrückliche Erklärung
schuldig, dass ich mir kein sehliesslich.es Urtheil tiher
die einander gegenüberstehenden Hypothesen auszus2>rechen
erlaube, deren Lösung gar sehr von den Resultaten dieser
Experimente beeinflusst werden dürfte. Wenn sie die
Wahrheit der so zuversichtlich aufgestellten, aber mit ebenso
viel gerechter als vernünftiger Ungläubigkeit selbst von
den Vertretern des Psychisnms aufgenommenen Behauptungen
beweisen sollten, dann wird sich ohne Zvreifel die weitere
und noch grösere Frage erheben: vWoher und was sind
diese Gestalten?" Sind sie ganz bestimmte, eoncrete und von
einander unterschiedene individuelle Existenzen oder Wesen,
oder sind sie eine noch weitere Entwickelung der Zustände,
welche wir durch die ganze Reihe der in unserem Werke
beschriebenen psychischen Phänomene verfolgten, in denen
allen wir einen fortschreitenden Zustand von Verrückung
(Dislocation) zwischen der Seele und dem Leibe gefunden
haben? Ist es möglich, dass im vollkommenen Entzückungsstadium
nicht blos ein theilweises, sondern ein totales Abtrennen
und Herausgehen des Geistes aus dem Körper
stattfinde — wenn auch wahrscheinlich keine wirkliche
Lostrennung, welche vom Tode des Körpers begleitet
sein würde? Ist es möglich, dass diese hrscheinungen, wenn
sie durch positives Experiment wirklich festgestellte sind,
die Realisation des schottischen und deutschen Glaubens
vom zweiten Gesicht, oder von den sogenannten Doppelgängern
sind, sowie die Erklärung der Legenden, in welchen die
Gestalten der Lebenden gesehen worden sein sollen?
Aber die Spekulation muss verschoben werden, bis die
Thatsachen über allen Zweifel ermittelt sind.
Auf alle Fälle können wir bald hoffen, einen vollgültigen
Beweis zu erhalten, entweder zur Bestätigung oder zum
Widerspruche der Behauptungen, welche mit so vieler Zu-
veisieht ausgesprochen worden sind, und bis dieser Reweis
uns vorliegt, müssen wir uns damit befriedigen, unser Urtheil
zu verschieben.
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