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566 Psychische Studien. I. Jahrg* 12. Heft. (Deceinber 187^
Wort der Kritik reine Verschwendung. Es gibt ein Witzigwerdenwollen
aus Verzweiflung, welches dann zu einer
Mischung des Burlesken und Frivolen ausschlägt, und diess
umsoniehr, für je geistreicher der Verzweifelnde sich hält in
der ihm brillant und tiefsinnig zugleich scheinenden Auffassung
der Welt und des Weltprocesses als einer anfangs mühlosen
Verkettung unendlich vieler sich selbst bildender und abbrennender
Feuerwerke.
Wenden wir uns zu unserem eigentlichen Ziele, von
dem Schopenhauer natürlich überstrahlenden, sich im Burlesken
gefallenden ,,ständigen Wanderlehrer für Verbreitung
von Volksbildung" zu Friedrich Nietzsche, dem klassischen
Philologen, so begegnet uns ein Schriftsteller aus der
Schopenhauer'schen Schule, der es zeitgemäss fand, mit „Un-
zeitgemässen Betrachtungen" hervorzutreten, wovon bereits
drei Stücke vorliegen. Ueber das erste Stück hat sich
Referent im., Allgemeinen lit erarischen Anzeiger" (von Andrea,
Cramer u. Zöckler) verbreitet, wonach sich dei Wissbegierige
umschauen mag. Hier sei nur bemerkt, dass Nietzsche David
Strauss als Bekenner und als Schriftsteller einer Kritik
unterzieht, die unter Austheilung von Kolbenschlägen im
Wesentlichen darauf hinaus läuft, dass ihm Strauss den
Atheismus zu sehr in einer Mischung von Hegel, Feuerbach
und Büchner, und nicht, wie er nach Nietzsche gesollt hätte,
echt Schopenhauerisch betrieben hat. Dabei wird behauptet,
dass in Deutschland der reine Begriff der Kultur verloren
gegangen sei, dass jene höchst zweideutige und jedenfalls
unnattonale „Gebildetheit" der Deutschen jetzt in Deutschland
mit gefährlichem Missverstande Kultur genannt werde
und dass der verderbliche Wahn, als habe die deutsche
Kultur in jenem Kampfe gesiegt, drohe, unseren Sieg in
die Niederlage zu verwandeln: in die Niederlage, ja Exstir-
pation des deutschen Geistes zu Gunsten des „Deutschen
Reiches". Wenn Nietzsche unsern Sieg im Jahre 1870 mit
patriotischer Freude mitgefeiert hätte, wovon keine Spur
wahrzunehmen ist, so hätte er sich das Recht der Warnung
vor Erschlaffung der nationalen geistigen Bildungstriebe
allenfalls erworben; allein auch dann hätten wir ihn fragen
müssen, worein er denn die zu erstrebende national-deutsche
Kultur setze, da er aus eigener Bewegung darüber so gut
wie nichts gesagt hat. Soll aber die Hindeutung auf
Schopenhauer uns den Weg zeigen, an dessen Ziel uns der
verlangte Aufschluss werden solle, so gerathen wir erst
recht in Erstaunen, da uns gerade Schopenhauer als das
rechte Widerspiel eines deutschen Mannes und Philosophen
erscheint, dessen Lehren und Thaten auf Erhebung zu
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