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568 Psychische Studien. I. Jahrg. 12. Heft. (December 1874.)
hauers. Dieser Philosoph wird uns als Erzieher, als Muster
und Vorbild empfohlen. Hauptsächlich ist es die Offenheit
und Aufrichtigkeit, womit er seine Negationen und Positionen
aussprach, welche ihm diesen hohen Hang sichern sollen
neben der angeblich Alles überstrahlenden Tiefe seiner
wohlstylisirten Weltanschauung. In den Augen Nietzsches
wird jene Aufrichtigkeit nicht im Geringsten durch die mit
ihr verbundene grimmige Schmähsucht und zornmüthige
Verkleinerungssucht Andersdenkender getrübt, und seine
philosophische Weltanschauung verliert bei ihm nichts an
Bedeutung durch die widerspruchvolle Zusammenschweissung
seines Idealismus mit seinem Kealismus, welche sich nur
in gewissen Durchlöcherungen der Consequenz über das
Niveau eines mystischen Naturalismus oder naturalistischen
Mysticismus erhebt. Wer und was Schopenhauer als Charakter
und Denker war, hat besonders Haym in seiner
Abhandlung über ihn genugsam dargethan, woraus sich ergibt,
dass kein Philosoph von Genie weniger als Sch. Anspruch
darauf hat, uns als Vorbild zu dienen*) Der Atheismus
Schopenhauers würde die Welt nicht besser, sondern noch
ungleich schlechter und leidenvoller dazu machen, als sie
ist, und auf das Strengste beweisen, dass sie, wie sie jetzt
ist, noch lange nicht die schlechteste unter allen möglichen
genannt zu werden verdient. Aller Atheismus ist Geist-
leugnung, Leugnung des Gottesgeistes und damit zugleich
des Meuschengeistes, und setzt Gott zu einer blinden Naturmacht
, den Menschen zum räsonnirenden Thier herab, und
soweit das Letztere Schopenhauer noch nicht ganz gethan
hat, würden seine Jünger nachhelfen und mit der völligen
Verthierung des Menschen endigen.**) Gesteht doch Nietzsche
mit dürren Worten, dass er die Lehren des (warum doch
*) Sch. wäre unfähig gewesen, sich wie Fichte und Schilter aus
den beengendsten widrigsten Verhältnissen charaktervoll emporzuarbeiten
. Nur die reiche Erbschaft von seinem Vater l»at ihm jene
bis zum grellsten Excess getriebene Offenherzigkeit und Ungenirtheit
seiner Aussprüche und Angriffe gegeben.
**) Wir können uns diesem fast allzu gestrengen Urtheil über
Schopenhauer nicht ansehliessen, sondern halten uns an das müdere
Fichte'$ in seinem jüngsten Werke: D i e theistischc Weltansicht
und ihre Berechtigung etc." (Leipzig, Brockhaus, 1873.)
S. 25 ff., und wollen nicht vergessen, dass ihn Frof. Krönig in „Das
Dasein Gottes und das Glück dor Menschen etc." (Berlin,
K Staude, 1874) S. 244 ff besonders deshalb tadelt, weil Schopenhauer
nicht allein an animalischen Magnetismus und Somnambulismus, Sympathie
, schwarze und weisse Magie, sondern auch an Hexen und Gespenster
glaubte! Er war eben ein Philosoph, der geistige und psychische
Thatsachen gelten liess, wie sonderbar auch seine Erklärung
derselben war. Das dürfen wir hier nicht unbeachtet lassen.
Die Redaction.
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