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Dr. Nietzsches „Unzeitgemässe Betrachtungen." 569
nur?) verhassten Hegel von) souverainen Werden, von der
Flüssigkeit aller Begriffe, Typen und Arten, von dem
Mangel aller cardinalen Verschiedenheit zwischen
Mensch und Thier für wahr, aber für tödtlichhalte
(2. Stück S. 93), und er fürchtet — er, der Bewunderer
und Verherrlicher der unumwundenen „Aufrichtigkeit und
Wahrheitsliebe" seines „grossen" Lehrers, der (3. St. S. 45)
das freiwillige Leiden der Wahrhaftigkeit auf sich genommen
habe, — dass, wenn Hegels Lehren noch ein
Menschenalter in der jetzt üblichen Belehrungswuth in das
Volk geschleudert werden, dieses an Selbstsucht zu Grunde
gehen werde!!! Da der Unsterblichkeitsglaube haltbar nur
auf die Ueberzeugung von der Geistigkeit und also Persönlichkeit
Gottes gegründet werden kann,*) so ist der die
Unsterblichkeitslehre vertheidigende Spiritualismus unverträglich
mit jeder Form des Materialismus, Naturalismus,
Pantheismus und Atheismus, hat den Kampf mit allen
diesen Verirrungen des Denkens zu bestehen und durchzufechten
und darf die Waffen der Philosophie nicht am
Nagel hängen lassen, während er die Colonnen wohlbeglaubigter
Erfahrungen in das Feld führt. Erfahrungen
allein, ohne philosophische Verwerthung, können im besten
Falle die zeitliche Fortdauer abgeschiedener Menschen,
niemals aber die ewige (endlose) Unvergänglichkeit derselben
beweisen. Unter diesen Umständen ist sich nicht
zu verwundern, dass es in den Schriften aller Sorten von
Pantheisten und Atheisten an schlecht orientirten Ausfällen
auf den Spiritualismus wimmelt, wohl aber ist sich
darüber zu verwundern, dass die weitaus grösste Zahl der
Unsterblichkeitsgläubigen die Verwüstungen der Atheisten
unthätig mit ansieht und sich so wenig um die Vorkämpfer
des Spiritualismus (wie z. B. Wallace) als um diejenigen
Forscher kümmert, welche die Erscheinungen des sogenannten
Spiritismus bis auf den Grund geprüft wissen wollen. Auf
die Ungeheuerlichkeiten Nietzsche's einzugehen, ist hier nicht
der Ort, und es mag nur bemerkt werden, dass sich dergleichen
nicht weniger, nur andere, in den Schriften v. Hart-
mann's, Lindwurms etc. gleichfalls finden.
*) Unter den Pantheisten ist es J. G. Fichte, der nur den im
ethischen Kampfe auf Erden siegreichen Geistern ewige Fortdauer im
Jenseits zuschreibt, was darauf deutet, dass ihm der Theismus, trotz
jenem vielbenutzten Ausspruch von dein angeblichen Widerspruch
des Bewußtseins mit der Sehrankenlosigkeit Gottes, innerlichst viel
näher stand, als es den Anschein hatte. Die Persönlichkeitspantheisten
lehren die Unsterblichkeit, wie Schelling, Weisse, Fechner, Lotze etc.,
wiewohl zum rl heil iz. B. Weisse) unter Einschränkungen.
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