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108 Psychische Studien. III. Jahrg. 3. ITett. (März 1876.)
sonders dunkle That hinten im Hofe unter dem offnen Wasch-
scliuppen begangen worden sein müsse, denn da selie er von
Abends nach dem Dunkelwerden an am häufigsten die tre-
stalt stehen und nach dem Fussboden deuten; es sei ihm
mehrmals vorgekommen, als habe sie dabei ein Kind auf
dem Arm, doch habe er sich stets so entsetzt, dass er das
nie recht genau habe erkennen können. — Mit steigendem
Erstaunen hatten wir diese Erzählung mit angehört, und
sie bildete den ganzen Abend das Thema tmserer Unterhaltung
, während das unheimliche Klopfen, welches einen
eigenthümlichen, unnachahmbaren, scheinbar aus einem Nachbarhause
kommenden Ton hatte, fast ununterbrochen fortdauerte
. Einmal hörten wir deutlich Schritte und das
Rauschen eines schweren seidenen Kleides im Corridor.
Herr S. zeigte uns auch 4 bis 5 messingene, zu den verschiedenen
Thüren im Hause gehörige Schlüssel, an welchem
bei Zweien der Barth in einer ;rom Griff um etwa 45°
differirertden Richtung stand; er sagte, diess sei nicht der
Fall gewesen, als der Wirth ihm die Schlüssel eingehändigt
habe; er habe sie früher stets in den Thüren stecken lassen,
doch so gut er immer dieselben abgeschlossen habe, so haben
stets am andern Morgen die Thüren weit offen gestanden,
und 2 von den Schlüsseln seien auf so merkwürdige Weise
verbogen worden. Bei genauer Betrachtung derselben aber
konnten wir keine Spur von Verbiegung sehen! Die Schlüssel
schienen vielmehr ursprünglich so gemacht zu sein! Ich
zieh Herrn S. des Irrthums und meinte, er habe es wahr-
scheinlich beim Empfang der Schlüssel übersehen, dass sie
schon so gewesen seien; doch er betheuerte positiv, dass er
es ganz genau wisse. Die Schlüssel waren übrigens so
stark, dass alle unsere Versuche, sie wieder in die gerade
Richtung zu drehen, die absolute Unzulänglichkeit unserer
Kräfte bewiesen.
Meine Begierde, die Sache genauer zu untersuchen
und wo möglich zu enträthseln, war jetzt so gespannt worden
, dass ich mit Herrn S. verabredete, am folgenden
Abende allein wiederzukommen und mit ihm einen Theil
der Nacht aufzubleiben. Hierauf verabschiedeten wir uns;
Herr S. geleitete uns mit dem Licht die Treppe hinunter, —
was erblickten wir? Die Schulstubenthür, welche wir selbst
Herrn S. vorhin hatten verschliessen sehen, stand weit offen!
Ebenso die Hofthür, und auch eine der grössten Flügel-
thüren nach der W.-Strasse zu, war aufgeschlossen, doch
nicht weit geöffnet, sondern angelehnt; Herr S. zog die für
den Fall bereits mitgenommenen Schlüssel aus der Tasche
und verschloss sie wieder.
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