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164 Psychische Studien. III. Jahrg. 4. Hett (April 1870.)
dass er seiner Frau auf dem Sterbebette gesagt hätte, dass
der Haushofmeister ihn um eine Geldsumme betrogen habe,
und dass, wenn der junge Herr Tom zurückkehre, er schon
zusehen würde, dass sie zu ihrem Rechte käme. Dieses
versprach Lord Erskine zu thun, und kurze Zeit nachher
erfüllte er sein Versprechen. Lady Morgan sagt hierauf:
— „Entweder glaubte Lord Erskine, oder er glaubte sie
nicht, diese seltsame Geschichte: wenn er sie glaubte, welch'
eine sonderbare Venrrung seines Verstandes! — wenn er
sie nicht glaubte, welch' eine noch sonderbarere Abirrung
von der Wahrheit! Meine Meinung ist, dass er sie wirklich
glaubte." — Wahrscheinlich werden Hunderte von Lesern
dieser Erzählung der Lady Morgan mit ihr: „Welch* eine
sonderbare Verirrung seines Verstandes!" ausgerufen und
nichts weiter über die Sache gedacht haben. Mr. Owen ist
mit dieser sorglosen Art und Weise, über eine Schwierigkeit
hinwegzukommen, nicht zufrieden. Er macht folgende
Bemerkungen: — „Was für eine Art und Weise des Verfahrens
mit behaupteten Thatsachen ist dieses? Ein Mann,
ausgezeichnet in einem Berufsstande, dessen hervorragendste
Mitglieder die besten Beweisrichter in der Welt sind, —
ein Mann, von dem der Hörer glaubt, dass er wahrhaft
sei, — erzählt, was er an einem gewissen Tage und einem
Orte, die beide genau angegeben sind, sah und hörte. Was
er sah, war die Erscheinung eines im Leben ihm wohlbekannten
Menschen, welcher schon einige Monate zuvor
gestorben war. Was er aus derselben Quelle hörte, war
eine Mittheilung über Angelegenheiten, in Betreff deren er
zuvor nicht das Geringste gewusst hatte, von welcher Mit-
theilung er auf Nachforschen erfährt, dass sie streng wahr
sei; zugleich auch eine Mittheilung, welche den Geist des
Dahingeschiedenen direct vor seinem Dahinscheiden beschäftigt
und interessirt hatte. Die natürliche Schlussfolgerung
aus diesen Thatsachen, wenn sie zugestanden
werden, ist, dass unter gewissen Umständen, welche wir bis
jetzt noch nicht zu definiren im Stande sind, Diejenigen,
über welche der Wechsel des Todes gekommen ist, noch
immer an den Angelegenheiten dieser Erde, wenigstens noch
eine Zeit lang, Interesse haben und die Kraft eines gelegentlichen
Dazwischentretens in diese Angelegenheiten
beibehalten können, wie z. B. bei einer Bemühung, eine
geschehene Ungerechtigkeit wieder gut zu machen. Aber
weit eher, als eine Schlussfolgerung einzuräumen, — lieber
als einen interesselosen Beweis anzunehmen, der von einem
als aufrichtig anerkannten und der Welt als ausserordentlich
fähig bekannten Zeugen kommt, — unternimmt es eine
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