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168 Psychische Stadien. III. Jahrg. 4. Heft. (April 1876.)
Vorgänge, nichts durch das Sinnenbewusstsein Vermitteltes
(was „Hallucinationen" erzeugen könnte). Schwierig sei es
daher, den objectiven Gehalt von subjectiven Beimischungen
klar und bestimmt zu unterscheiden. Deshalb sei zu warnen
vor allzu gläubiger Hingabe an diese Dinge und bei voller
Zustande der Seele gemäss, durch harmonische Bewegung mehr
zu verstärken, als gewöhnlieherweise bei gesunden Menschen geschieht
und auch geschehen soll. Solche seltsame Persoren würden in gewissen
Augenblicken mit der Apparenz mancher Gegenstände als
ausser ihnen angefochten sein, welche sie für eine Gegenwart geistiger
Naturen halten, die auf ihre körperlichen Sinne wirken; —■ so dass
die Ursache davon ein wahrhatt geistiger Eit fluss ist, der
nicht unmittelbar empfunden werden kann, sondern sich nur durch
verwandte Bilder der Phantasie, welche den Schein der
Empfindungen annehmen, zum Bewusstsein offenbart'--'Abgeschiedene
Geister können zwar niemals unsern äussern Sinnen
gegenwärtig sein, aber wohl auf den Geist des Menschen wirken, mit
dem sie zu einer grossen Bepublil*- gehören, so dass die Vorstellungen
, welche sie in ihm erwecken, sich nach dem Gesetz seiner
Phantasie in verwandte Bilder kleiden und die Apparenz der ihnen
gemässen Gegenstände als ausser ihm erregen. Diese Täuschung
kann einen jeden Sinn betreffen; und so sehr dieselbe auch mit Hirngespinsten
untermengt wäre, so dürfte man sich durch dieses doch nicht
abhalten lassen, hierunter geistige Einflüsse zu vermuthen.' {Kant,
a.a.O., S. 60-63)." —
lichte selbst aber erklärt im Haupttext zu diesen Citaten aus
Lessing \m& Kant: — „Es giebt durchaus keinen objectiven Grund,
den Inhalt jener Berichte für an sich unmöglich zu erklären und in
das bekannte kritiklose Geschrei über Wahn, Aberglauben, Selbstbetrug
einzustimmen} mit welchem der gemeine Haufe der Aufgeklärten dergleichen
aufnimmt. Solche Dinge sind zu allen Zeiten geglaubt worden,
ja sie machen sich gerade jetzt, trotz jener Befehdung, mit erneuertem
Nachdruck geltend. Alles jedoch, was sich als Thatsache ankündigt,
hat die Wissenschaft unbefangen anzuerkennen und nach seinem
wahren Bestände zu prüfen; und wir selber werden in Folgendem
ein Kriterium zu solcher Prüfung anzugeben versuchen. Auch dieser
nur mit Unrecht und durch ein falsches Vorurtheil flir verfänglich
gehaltene Gegenstand ist daher völlig würdig, Object anthropologischer
Erforschung zu werden; und bedürfte es dafür der Autoritäten, so
bieten die Namen der ersten Denker sich dar. Was Kants Ansicht
darüber war, haben wir gesehen; wie Lessing darüber dachte, ist
bekannt. Ja gerade jetzt wäre nichts zeitgemässer, wo der bisherige
starre und durch nichts begründete Unglaube der Aufgeklärten an eine
Geisterwelt ins eigene Widerspiel sich verwandelt hat und gerade
1 ein Theil der Gebildeten dem abenteuerlichsten und zugleich geistlosesten
Geisterglauben sich zuwenden zu wollen scheint, denselben
zum Gegenstände objectiver anthropologischer Untersuchung zu
machen, oder wie Fr. Fischer in seinem Werke über den „Somnambulismus
" (I, 203) sehr gut sich ausdrückte: 'den keineswegs
abgeurtheilten Process des Geisterglaubens wieder aufzunehmen
.'" — Es fällt uns schwer, hier abbrechen zu müssen, da
fast Alles, was der geistreiche Verfasser weiter sagt, wenn auch nicht
unbestreitbar, so doch von anregendster Bedeutsamkeit ist. —
Die Redaktion.
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